Auf der Suche nach meinem Leben

 

   
       
   

 

 

Auf Reisen

Auf Reisen. 1901-1902

In den Ocean fährt mit 1000 Masten der Jüngling


Am letzten Abend unseres Zusammenseins schenkte Hüter mir eine silberne Kapsel mit seinem Bild und einem Spiegel, sehr fein gearbeitet, ich ihm das fein gerahmte Bild meiner Großmutter, die schöne Reproduktion der Originalzeichnung. Und da die dichterische Form in unserer Familie die selbstverständliche Ausdrucksform war, waren beide Geschenke von Versen begleitet von denen ich nur einige Proben gebe.


Großmutterbild, Großmutterbild,
lieblich und mild, lieblich und mild,
ach wie so oft entzückt sag ihm, die Zeit verrinnt
hat er dies angeblickt, Dein denkt mein Enkelkind,
Geb dich ihm gern. weil in der Fern.


Seine Verse sind mir nicht mehr ganz in Erinnerung:


Möchte schlafen und erwachen erst
Wenn Du mir gehörst.
Möchte so gern verstanden werden
Wär´mir innrer Frieden
Endlich doch beschieden.

Möchte dies eine nur erflehn
Ewig glücklich Dich zu sehn!


An jenem Abend kam mir das Unwahre und Pubertätshafte dieser Gedanken nicht klar zum Bewusstsein. Ich ließ mich von seiner Weichheit, Wärme, Vornehmheit gerne umspielen, und nur leise ahnte ich eine gewisse Unwirklichkeit. Meine Sehnsucht nach Zärtlichkeit und Schutz war aber bisher nicht erfüllt worden und - und - heute seh ich klar - ist auch nie erfüllt worden. Meine Energie, mein klarer Wille täuschten die Menschen; auch die Sinne kamen nie zu ihrem Recht. An jenem Abend aber sog ich seine Liebe wonnig ein und bis heute spüre ich an meiner Wange seine eigenartig umschmeichelnde seidene Weste. Manch einer, der dies liest, wird mich auslachen, aber es sollte uns lieber mahnen der Jugend eine Fülle von Zärtlichkeit zu schenken, statt nur von Pflicht und Arbeit zu reden, damit Jungen und Mädchen sich ihre Sehnsucht nach Zärtlichkeit nicht von falscher Seite stillen lassen.

Mit einem etwas zwiespältigen Herzen aber doch froh und unternehmend trat ich mit meiner Mutter an einem schönen Septembertage die Reise an. Märchenhaft, traumhaft schön erscheint mir heute das Reisen jener Tage.

Ein Wagen fuhr uns zur Bahn, das Gepäck wurde aufgegeben, hilfreiche Kräfte gab es genug und 2ter Klasse, ohne Gedränge genoß man schon im Voraus alles Neue und Kommende. Berlin brachte die üblichen Besuche bei Verwandten und der Museen, es war nur Durchgang, das erste Reiseziel war Wiesbaden. Dorthin hatten sich Goerkes nach dem übereilten Verkauf ihres herrlichen Gutes Rothenstein zurückgezogen. Drei Wochen genoß ich dort im Kurpark, im Lesesaal, im Wald die Freuden der erwachsenen Tochter und Nichte, aber zuviel Erinnerungen an meinen Vater und an Gredel wurden in mir wach, um mich recht froh werden zu lassen, ja sie waren so stark, das sie das Bild des Geliebten, den ich in Königsberg gelassen hatte, ganz verdrängten. Als eines Abends im Kurpark von einer Trompete geblasen durch die Büsche klang: An Alexis send ich Dich, er wird Rose Dich nun pflegen175 . . . . das Gredel so oft gesungen hatte, das glaubte ich vor Sehnsucht zu sterben. Vor den Meinen aber war ich das fröhliche, unbeschwerte junge Mädchen, dem die Welt offen stand, und so sollte es auch sein - heute ergeht es mir ebenso. Ich kann mir gar nicht vorstellen, daß ein Mensch jung und gesund nicht glücklich sein kann. Wir sehen eben nur das, was die Jahre uns genommen, aber nicht das, was sie dafür gegeben haben.

An Alexis send ich dich,
Er wird, Rose, dich nun pflegen;
Lächle freundlich ihm entgegen,
Daß ihm sei, als säh er mich.

Frisch, wie du der Knosp entquollst,
Send ich dich, er wird dich küssen,
Dann -jedoch er wird schon wissen,
Was du alles sagen sollst.

Sag ihm leise wie ein Kuß
Mit halbaufgeschlossnem Munde,
Wo mich um die heiße Stunde
Sein Gedanke suchen muß.

Friedrich Heinrich Himmel

Um im Alter froh zu sein gilt es dafür den Blick zu schärfen.

 


175 An Alexis send ich dich von Friedrich Heinrich Himmel (* 20. November 1765 in Treuenbrietzen, Mark Brandenburg; † 8. Juni 1814 in Berlin), deutscher Komponist und Pianist.




 

 

 

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