Tiny holte mich von der Bahn ab, als ich zu Miezels Hochzeit nach
Koenigsberg kam.
"Gut, dass Du endlich da bist, Herz". Sie sagte "Härz".
"Die
Mutter ist nun aus Wiesbaden zurückgekommen. Diese letzten 2
Jahre, der Konkurs, die Auflösung unseres elterlichen Haushalts
- wenn Amelie mir nicht beigestanden hätte ... Miezel war
glücklich mit ihrem Studium; Wilhelm hat ihr versprechen müssen,
dass sie ihr Studium fortsetzen kann, wenn sie einmal in eine
Universitätsstadt kommen, sonst hätte sie ihn wohl gar
nicht genommen. Ich finde das Seminar grauenhaft. Und nun sollte ich
ein Kranzgedicht machen, und die Mutter saß im Mantel mit
Handschuhen auf unserer alten Chaiselongue auf der Vater immer
schlief, sie saß da wie ein fremder Besuch und sah sich um und
nickte ein bischen "ja, als Sommerwohnung" und sah sich
wieder um und nickte wieder: "ja, natürlich. Die guten
Sachen sind doch schon alle in Tilsit, in Maries Wohnung." Ich
konnte nichts zusammenbringen und ging zu Frl. Janzen. Sie ist so
angenehm ruhig. Frl. Wermke fragt so viel. "Tilchen" sagte
sie nur, du armes Kind." und dann holte sie zwei Gedichte aus
ihrer Jugendzeit hervor." "Ach, die gute alte Janzen!
Sie ist nur so sehr langweilig. Frl. Prengel, ich liebe sie und nenne
sie Tante Clärchen, sagt Frl. Janzen wäre schon in ihrer
[Jugend] ein altes Jüngferchen gewesen. Nun sag doch mal mein
Gedicht". Tiny begann tief ernst:
"Geliebte Braut, mein Herz ist tief bewegt Da
meine Hand das Sinnbild ew'ger Treue Den Myrthenkranz
um deine Stirne legt.
Vertraue fest und innig du dem Herzen, Das hoch
und freudig dir entgegen wallt, Bereit mit dir der Erde Freud' und
Schmerz Zu teilen bis des Lebens Hauch entwallt.
Und all mein Hoffen, wie sich's heut' und immer Um
euer Schicksal rankt voll steter Treue Erblüht auch mit in
jenes Kranzes Schimmer, Der eurer Liebe ewig Abbild sei!
"Furchtbar", stöhnte ich. "Ich kann
doch meine eigene Schwester unmöglich mit 'geliebte Braut'
anreden! Mir liegen solche Gedichte überhaupt nicht. Warum das
alles?" "Du kennst doch Marie, sie möchte eine
richtige Hochzeit haben, mit "Orgelgesang und Psalmen, Rotem
Plüsch und Palmen" wie es bei Rideamus
heißt. Ich verstehe das, ich möchte es auch."
In der Hermannallee, wohin Georg nach der Rückkehr der Mutter
gezogen war, fand ich zu meiner größten Erleichterung eine
ganz fröhliche Hochzeitsstimmung. Georg und Walter waren eifrig
beim Dichten.
|
|
|
Georg
|
|
Walter
|
"Die Hauptsache für eine wirklich gemütliche
Wohnung ist immer die Lage." "Welche Lage, Walter?"
"Am Wasser, natürlich. Ich schlage als Anfang eines
Gedichts vor:
Alles, was du einst gefunden An des Pregelstromes
Flur, Sieh, das findest Du nun wieder An des Memelstroms
Natur."
Walters Preislied wurde dankend abgelehnt. "Es muss etwas von
der Antike vorkommen, z.B.:
Ihr habt oft Homer gelesen, Welchen ganz profane
Wesen Den Modernen stellten nach. Oh, dann machte Miezel
Krach."
"Ja, richtig, was sagte sie doch, als du Jakobsen,
Hofmannsthal
vorzogst?" "Homer ist mein Lieblingsdichter, da musst Du
viel vorsichtiger sein." Und dabei kennt sie die Modernen
nicht einmal. Sag mal, Elisabeth, hast Du die Welträtsel von
Haeckel
gelesen?
Es klingelte. Der alte Konsistorialrat Lackner machte Besuch. "Ich
habe ihren verstorbenen Mann sehr, sehr geschätzt, verehrte Frau
Lemke, wie viele andere Koenigsberger auch." Die Mutter sah zu
dem Ölbild
auf, das ein wenig von dem Charme und der Noblesse seiner Erscheinung
wiedergab. "Den Kindern eines solchen Vaters kann es
nicht schlecht gehen, Herr Konsistorialrat,
das ist mein fester Glaube." "Und der himmlische Vater
sorgt für uns alle, das dürfen wir nie vergessen. Nun sind
aber die Haare auf eurem Haupte alle gezählt -." In den
Augenwinkeln der Mutter verbarg sich ein kaum spürbares Lächeln.
Sie dachte sicher daran, wie Frl. Wermke, die schon seit ihrem 40.
Jahr eine Perücke trug, immer sagte, bei ihr hätte der
liebe Gott nicht viel zu zählen. Sie goss noch etwas Portwein
ein und freute sich an den freundlichen und überzeugten Worten,
die Lackner für das Brautpaar fand. Ich begleitete ihn hinaus.
"Wie geht es denn nun Ihnen, mein Tochterchen?" sagte er
noch unter der Tür zu mir "sind sie nicht ein bischen
schmal und blass?" "Ach nein, danke, es geht mir gut,"
sagte ich mechanisch, denn "schmal und blass" war mein
Steckbrief.
Miezel kam herein. "Ach Elisabeth, du siehst gut aus. Letztes
Mal ...". "Ja, ich weiß"; es war ihre
feststehende Begrüßung. "Geliebte Braut"
begann ich "mein Herz ..." "Nicht doch; wenn Ihr eine
Überraschung habt, dann, bitte, verratet nichts." "Nein,
aber einen Vorschlag möchte ich machen. Wie wär's mit
Dehmel?
Aber komm mir nicht im langen Kleid, Komm
gelaufen, dass die Funken stieben, Beide Arme offen und
bereit. Auf mein Schloss führt keine Galatreppe. Über
Felsen geht's, reiß ab die Schleppe, Nur in kurzen Röcken
kann man lieben."
Die Schwestern waren auf's höchste chokiert, die Brüder
begeistert. Das war so amüsant, obgleich ich mich auch etwas
genierte. "Oder wie wär's mit Homer?" "Homer ist
mein Lieblingsdichter ..." zitierte Georg, aber Miezel hatte
gerade keine Lust zum Scherzen. Sie rief mich beiseite. Ich sah, dass
sie den Tränen nahe war. "Was wollen wir nur machen? Wir
haben solch nette Herren, und alle meine Freundinnen haben abgesagt.
Ich war heute noch bei Ilse v.Horn. Sie ließ sich gar nicht
sprechen; sie ist gekränkt, weil die Einladung zu spät kam;
bei den anderen zwei ist's ähnlich. Nichtige Gründe! Wie
damals bei meinem Tee, als wir nachher alle guten Sachen allein
aufaßen." "Nette Freundinnen! Sorge dich nicht!
Ich werde zunächst Mieze Heumann anläuten und zu Dora
[Walter] gehen. Wilhelm erzählte mir übrigens, dass
dieser Dr. Jankowsky, der wohl auch kommt, Dora auf einem Bazar
kennen gelernt hat und von ihrer Schönheit entzückt ist. Er
kann sie ja als Brautdame haben." "Sie werden die Einladung
2 Tage vorher nicht annehmen." "Ich bitte dich, meine
Freundinnen. Schade, dass wir nicht mehr Platz haben."
|
Dora Walter, Rose Kowalski und Elisabeth Lemke
|
|
Sie kamen beide, und Dora hatte sich noch etwas Reizendes
ausgedacht. Sie und Ferdi, ihr Bruder, hatten sich als alte
Schachteln verkleidet, mit Kapotthut
und Biedermeierlocken.
Sie sah süß aus und Ferdi unwiderstehlich drollig, wie
immer Herren im Damenkleid. Sie neideten der Braut ihre vielen Künste
in geistigen und praktischen Dingen, und als sie sich zum Schluss mit
dem Ruf: "Schwester, wir bleiben ledig!" in die Arme
sanken, wurde eifrig geklatscht und die richtige Stimmung war
geschaffen.
Jetzt wollten alle dichten und die Tortenstückchen der Bunten
Schüssel (natürlich von Roudi) dienten zu Improvisationen
über die wir vergnügt lachten, schon aus Freude am Lachen
selber. Walter bekam einen Stern: "Haeckelianer,
sieh den Stern - Denn ich hab erfahren, - Dass er existierte schon
vor Millionen Jahren. -" "Millionen!! Ich bitte euch, da
müsste ich allerdings mit anderen Zahlen rechnen! Kennt ihr den
Begriff der Lichtjahre? Übrigens, Fräulein Dora, haben Sie
schon die Welträtsel
von Haeckel gelesen?" "Mein Vater hält nicht viel
davon." "Sie müssen sie selber lesen."
Miezel trat hinzu. "Walter sorgt ja gar nicht für Dich,
Dora. Soll ich Dir noch etwas Wein eingießen?" Ehe Dora
antworten konnte, sprang Walter empört auf. "Mitten in der
Unterhaltung wird man durch Nebensächliches unterbrochen!
Barbarei! Mit dir verheiratet zu sein ist ja schwerer Kerker".
"Dann sollen die Gäste wohl lieber hungern?" sagte
Miezel ungerührt, "deinen Teller hast du auch auf dem
Buffet
stehen lassen; es wird ja alles kalt." "Dann mag es noch
kälter werden. Wann macht die Menschheit sich endlich unabhängig
vom Essen! Wenn meine Frau mich einmal zum Essen rufen sollte, damit
es nicht kalt wird, lasse ich mich glatt scheiden." "Dann
ist es vielleicht mit dir schwerer Kerker."
Dr. Jankowsky hatte unter etwas schweren Lidern hervor wie über
eine weite Ebene gesehen. Ich fand seine Augen schön. "Aber
da bringen Sie sich doch um viele Genüsse, Herr Lemke",
sagte er jetzt langsam. "Erbsen, Kartoffeln und Schweinefleisch
als Eintopf zusammen gekocht oder Schweinekopf mit Sauerkraut."
"Dass sie von dem Sauerkohle, eine Portion sich hole ..."
Tiny ersparte einem nie naheliegende Zitate. Die Mama hatte bei
der Aufzählung von Dr. Jankowskys Menü liebenswürdig
gelächelt und innerlich leise geschaudert. Von einem ganzen
Schweinekopf in einer Sauerkrautschüssel hatte Ali einmal nach
einer Reise erzählt, wie man von den Essitten fremder Völker
spricht. "Ja, bester Herr Dr., das sind so richtige
ostpreußische Gerichte vom Lande. Ich fand hier alles so sehr
fett, als ich von Stuttgart herkam, und die vielen Kartoffeln, die zu
allem dazu gehörten! Wir waren zu Hause 14 Kinder, aber es gab
nur zweimal in der Woche Kartoffeln, Pellkartoffeln." "Und
wovon wurden denn die vielen Kinder satt?" "Da gibt es doch
Nudeln und Spätzle
und Knöpfle." "Von Spätzlein habe ich schon
gehört. Sie sollen, ehrlich gesagt, nach nichts schmecken. Aber
was sind denn Knöpflein?" "Knöpfle sind Klöße;
ja zuerst fand ich keinen Anklang hier mit meiner schwäbischen
Küche; nicht bei meinem guten Mann. Der ging überhaupt
auswärts mit mir essen als ich noch keine Kinder hatte und wir
in Neuhäuser wohnten. Im Restaurant ließ ich allerdings
das Kotelett erst auf der Papierserviette abtropfen, ehe ich es essen
mochte." "Vielleicht wollte Ihr Gatte wegen der Knöpflein
lieber auswärts essen." "O nein, ihm war alles recht,
wie ich es machte, aber ich hatte mich bei den Zurichtungen so
alteriert und echauffiert, dass er mir die Mühe sparen wollte.
Schwierig war nur das Personal. Als ich einmal in die Küche
komme, steht da die große Person und hat die guten
Schwedenknöpfle, wissen Sie, erkaltete, wie in Scheiben
geschnittener Griesbrei in der Pfanne gebraten". Ich dachte
still für mich, dass Jankowsky dies Rezept wohl ebenso seltsam
vorkäme, wie der Mutter der Schweinekopf. "Ja, die guten
Schwedenknöpfle," fuhr die Mutter fort, "die hatte sie
nicht einmal angerührt. Sind sie krank?" frage ich. "O
nein," antwortet die dumme Gans ganz verächtlich. "Damit
will ich mir erst gar nicht den Appetit aufrühren." -
"Sie wohnten zuerst in Neuhäuser, gnädige Frau?"
"Es war unser Kinderparadies." "Ja, Fräulein
Marie, es war ja eine Gründung der Koenigsberger Kaufleute; nach
Neuhäuser konnten die Herren nach Büroschluss
verhältnismäßig schnell hinkommen. Mein Mann brachte
mich auch nach Neuhäuser, weil in unserem ersten Ehejahr in
Koenigsberg die Cholera
herrschte. Er selbst ging wie immer ruhig seiner Arbeit nach. Er war
ja nicht für's Heldische und Gewalttätige - ". "Oho,
liebe Mama, heldisch und gewalttätig darfst du nun wirklich
nicht in einem Atemzug nennen; der Heros im antiken Sinne
..." "Ja, ja bester Wilhelm, du magst schon recht haben;
jedenfalls war mein Mann nicht für Streit und Krieg, aber in
Zeiten der Gefahr ging eine wundervolle Ruhe von ihm aus. 'Bei
Seuchen', sagte er, ist die größte Gefahr schon gebannt,
wenn man der Furcht keinen Raum gibt. Ich fühlte mich bei ihm
auch so geborgen, dass ich das Gefühl hatte, mir könne
nichts passieren und so konnte ich nicht widerstehen, als ich
wundervolle und natürlich sehr billige Birnen sah. Ich aß
sie roh, weil ich gerade so durstig war, mir wurde bald danach
entsetzlich schlecht, aber dann hat es mir doch nicht weiter
geschadet."
|
Alexander Eckhardt und Grete Eckhardt
|
|
Ich setzte mich zu Ferdi Walter. "Es ist ganz reizend,
Ferdi, dass sie heute gekommen sind. Wollen sie nicht morgen mein
Brautführer sein? Nein, keinen Besuch und auch keine Blumen. Das
ist zwischen uns doch nicht nötig; wir haben ja noch in der
Tiergartenschlucht, die jetzt leider auch verbotenes Gebiet ist,
Räuber und Soldat gespielt. Kommen sie morgen um 3 Uhr gleich zu
Eckhardts, da ist Haustrauung, und Hilde (Doras Schwester) muss auch
mit dabei sein."
Tante Greti Eckhardt hatte alles wunderhübsch für die
Trauung geschmückt; sie tat es auch dem neuen Neffen Wilhelm zu
liebe, der fast im gleichen Alter mit ihr war, und für den sie
eine halb schwärmerische, halb mütterlich-sorgsame
Zuneigung empfand, denn wie viele Frauen, die vor ihrer Ehe sehr
zurückgezogen gelebt haben, war sie in einem versteckten Winkel
ihres Herzens junges Mädchen geblieben.
Die Brautdamen: Dora Walter sehr schön, Mieze Heumann sehr
elegant, Hilde sehr lieblich, Tiny sehr blond; ich war in hellblau.
Es war Miezes Hochzeit und mein Ball. Jankowsky hatte Dora
wunderbare, langstielige Rosen gebracht; ich saß mit Ferdi zu
seiner Linken. Er ließ sich von Dora ein Myrthensträußchen
schenken und von mir ins Knopfloch stecken. "Ich komme mir vor
wie Buridahls Esel."
War das eigentlich sehr geschmackvoll? Dora und mir fielen ja dann
die Rollen der Heubündel zu. Ich fand es originell.
"Fräulein Marie," rief Walter herüber, "haben
sie die Welträtsel von Haeckel gelesen?" "Still,
Walter, die Telegramme sollen gelesen werden, und außerdem wird
dein Essen kalt." Er warf mir einen halb erzürnten Blick
zu. "Walter ist der Haeckel im Karpfenteich." "Du,
Onkel Alex." "Sehr gut."
"Wir wünschen dem jungen Paare, Ungezählte
glückliche Jahre. v.Perbandt Langendorf und Pomedien"
"Sehr liebenswürdig von von Perbandts." Die Mama,
die besonders von der mütterlichen Seite her einen langen,
breiten, vornehmen Stammbaum hatte bis 1380 zurück mit vielen
Adelsnamen und mit Schiller als Blutsverwandten, vergaß auch in
Zusammenstellungen mit der Präposition "von" nie das
Adelsprädikat, was wir dann den Doppeladel nannten.
Das
Brautpaar: Marie Lemke und Wilhelm Bock
Ein griechisch abgefasstes Telegramm von dem
Altphilologen Onkel Hugo Lemke, Gymnasialdirektor, Altertumsforscher
und Dr.h.c., wurde Jankowsky zum Übersetzen gereicht. Er lehnte
fast beleidigt ab. Georg las vor mit großen Handbewegungen:
"Eu, moi - Stettin - ", Bravo und Händeklatschen. das
Brautpaar griff mit einer Miene, die "Scherz beiseite"
ausdrückte, sachlich interessiert nach den Telegramm. Miezel
strich energisch ihren Schleier zurück und vertiefte sich
vollständig in die Übersetzung.
"Sind sie nicht Humanist?"
fragte der lange Fritz Sehmsdorf Doras Tischherrn; er gehörte zu
der eleganten Sehmsdorf Serie, Masur
und angehender Regierungsassessor. "Diegroßen griechischen
Buchstaben beherrsche ich jedenfalls nicht mehr." Ich fand das
so angenehm unphilologisch. Ach, er gefiel mir über die Maßen,
und während wir uns unterhielten,: "ich bin nicht für
süße Sachen; zu Hause, in Eggleningken, buken sie
Holunderblüten in Eierkuchenteig - Käuzchen sind ganz
zutraulich; sie blieben immer sitzen und sahen mich altklug an, wenn
ich zu ihnen hinaufkletterte unters Scheunendach" - und während
wir tanzten - "er tanzt himmlisch" sagte Tante Greti mit
ihrem Jungmädchenlächeln - und während wir auf der
blumengeschmückten Veranda im großen Kreis und zugleich
nach meinem persönlichen Gefühl ganz allein zusammen saßen
- erbaute ich mir einen hübschen, kleinen Altar mit
rosenbestreuten Stufen zum Knien, mit Lichtern und Weihrauchschalen
und schuf mir mit Hilfe von sehr viel Literatur und sehr wenig Welt-
und Menschenkenntnis ein Bild - halb Jörn
Uhl
und halb Niels
Lyhne
schon der vorgeneigten Haltung wegen, undeutlich und wechselnd durch
Überschattung aus einer anderen, ganz fremden Welt und stellte
es auch auf den bekränzten Altar.
In der Veranda stand eine leuchtend blaue Barockschale
mit Goldornamenten, in der Apfelsinen lagen. "Hilde, nimm doch
noch eine Goldorange." Ich liebte solch kleine Anspielungen,
aber Tiny mit ihrem guten Gedächtnis zitierte gleich Mignon,
wie immer heilig ernst mit schulgerechten Pausen, so dass ganze
Zypressenhaine von gemalten Theaterkulissen um sie erwuchsen und die
Zuhörer, die schließlich kein Billett
für eine genau dosierte Portion Tragik gelöst hatten, sich
leicht geniert fühlten.
Georg kam im Anschluss an die "Goldorangen im dunklen Laube"
auf Opern zu sprechen. "Sie sind ja wie meine Schwester
Elisabeth. Sie macht sich auch nicht viel aus den hübschen alten
Spielopern.
Der Holländer,
Rigoletto,
Hans Heiling,
so ein bischen was Unheimliches ist ihr Ideal." "Aber
Georg." Er ließ sich nicht stören. "Wie
heißt es doch:
Schaurig schön muss mein Gatte sein, Was
Dämonisches muss er haben."
"Der Dämon
ist immer die Frau", sagte Walter mit düsterer Stimme,
"nach Nietzsche
ist der Mann gut und die Frau das Raubtier mit Krallen."
Jankow kniff ein Auge zu und zog die Mundwinkel noch etwas mehr
herunter. Ich fand das interessant. "Herr Walter, nein, nicht
sie, Ferdi, sie haben wohl noch nicht solche blutrünstigen
Vorstellungen, ich meine Herrn Walter Lemke; fühlen sie sich
hier von Raubtieren umgeben?" Walter saß mittendrin in
diesem rosa-weiß-blauen Kreis, aber er war nun einmal nicht zu
halten - "Gehst Du zum Weib - "
aber er kam nicht weiter, wir lachten ihn aus; sein offenes, ernstes
Gesicht war zu hübsch und harmlos. "Ja, die Frauen",
sagte Onkel Alex, der am Türpfosten der Veranda lehnte, er hatte
noch immer seinen liebenswürdigen blitzblauen Schwerenöterblick
von der Seite her, "jetzt wollen sie sogar das 'untertan sein'
aus der Trauformel streichen. Ich frage mich, wie
soll das enden?!"
"Kann man sich hier einmal zu der Jugend setzen?" fragte
Frl. Wermke, der Frl. Janzen auf dem Fuß folgte, die ein
dunkelrotes, großblumiges Seidenkleid anhatte, dessen Schnitt
unweigerlich an "Lavendel, Myrthe und Thymian" erinnerte.
Dr. Jankowsky stand auf, um die beiden alten Dämchen vorbei zu
lassen. Frl. Wermke in hübschem, schwarzem Seidenkleid mit
Spitzen, das sie sehr zierlich erscheinen ließ, sah zu ihm auf
mit einem halb spöttischen Blick, wobei sie den Mund nach ihrer
Gewohnheit auf einer Seite etwas in die Höhe zog. "Nur gut,
dass sie jetzt nicht gerade auf Jagd gehen, Herr Dr., es heißt
doch, man schießt nichts, wenn einem alte Weiber über den
Weg laufen."
"O, sagen Sie das nicht, mein verehrtes Fräulein, ich
habe die Erfahrung gemacht, dass alles Unangenehme und Hinderliche
und Greuliche - na, ja - von den jungen
Weibern kommt," die Herren klatschten begeistert Beifall,
während die Damen in ihren durch Jugend und Schönheit
geschaffenen, uneinnehmbaren Positionen nachsichtig lächelten;
"und alles Gute und Hilfreiche von der Magd angefangen, die
einem die Risse stopfte und den Tanten, die einem gute Bissen
zusteckten, das kam von den alten
Weibern! Ich bitte daher alle Anwesenden einzustimmen in den Ruf: Ein
Hoch den alten
Weibern!" Das fanden nun auch die anderen nett.
Frl. Janzen streichelte Tinys Hand. "So still, Tilchen?"
"Man kommt ja nie zu Wort, Frl. Janzen." "Nun ja, wo 4
Lemkes zusammen sind, sprechen immer 5, riefen gleich zwei Gäste
aus dem Hintergrund. "Ist das nicht doch etwas übertrieben?" Es
schwirrte und lachte alles durcheinander, als eine verspätete
Depesche
eintraf, die von Onkel Alex mit eindringlicher Betonung sehr deutlich
verlesen wurde. "Lemchen, schrei nicht so. Willy." Das gab
ein großes Hallo, und die Depesche mit ihrer Mahnung wurde
immer wieder zitiert, wenn ich nur den Mund aufmachte. Herr
v.Perbandt erzählte mir nach der Rückkehr, dass er Willy
vor dem Abschicken dieser Depesche gewarnt hätte, da sie ja von
Langendorf aus die Stimmung nicht beurteilen könnte und ich
vielleicht gerade sehr still sei. "Es passt bestimmt",
hatte sie gesagt und war zum Telefon geeilt.
Es war spät, als wir von Eckhardts dankend Abschied nahmen.
"Da ist noch eine Apfelsine. Wer will sie mitnehmen?"
Dr. Jankowsky griff danach und hielt sie mir hin - und von allen
bunten Bildern dieses Tages blieb mir am stärksten in Erinnerung
eine goldene Frucht, mir dargeboten von einer schlanken Hand.
[Die Fotos wurden von mir, an den passenden Stellen eingesetzt.]
(Einige der Fußnoten wurden zitiert*) aus der deutschsprachigen Wikipedia
http://wikipedia.de/ )
© Jost Schaper, Bad Pyrmont, 2006
Das Kopieren ist zu privaten Zwecken ausdrücklich gestattet, wenn diese Quelle (Internetadresse), der Titel, die Verfasserin und dieser gesamte Copyright-Vermerk in der Kopie enthalten bleiben. |