Der historische Hintergrund zu dem Drama von Edmond Rostand „Der junge Adler" (L'Aiglon)

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Der Dichter hat sich großer historischer Treue befleißigt und Änderungen nur so weit vorgenommen, als der Aufbau des Dramas sie notwendig machte.

Der Charakter des Helden ist abgerundet worden und gewinnt dadurch an Geschlossenheit. Fortgelassen sind alle Pläne, die ihn nur zeitweise beschäftigten, der Gedanke an eine Laufbahn in Polen, vielleicht in Griechenland, die Hoffnung, zur Zeit der Unruhen in Parma seiner Mutter beistehen zu dürfen, sein Bestreben, ein zweiter Prinz Eugen zu werden, der wie er nicht aus Osterreich stammte und dennoch im Dienste der österreichischen Monarchie seine Lebensaufgabe fand. Im Drama kennt der Herzog nur den einen Wunsch, wie einst sein Vater Kaiser zu sein. Er bleibt teilnahmlos gegen alles, was zu dem einen großen Gedanken, den er mit leidenschaftlicher Zähigkeit festhält, in keiner Beziehung steht.

Daneben finden sich viele kleinere Züge von historischer Treue: Schlagfertigkeit, geringe Achtung vor seinen Lehrern, Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst, Anhänglichkeit seitens der Soldaten, die treue Freundschaft mit Prokesch Osten, sein herzliches Verhältnis zur Erzherzogin Sophie, seine Vorliebe für das Reiten, seine Kenntnis einer ausgedehnten Literatur über seinen Vater, die Überwachung seiner Person und natürlicherweise seine fortschreitende Krankheit.
Verändert ist das Verhältnis des Herzogs zu seiner Mutter insofern, als zu bezweifeln ist, ob der Herzog von den Beziehungen Marie Louisens zu Neipperg und danach zu Bombelles gewußt habe. Das erstere nimmt Wertheimer nicht an, die zweite Frage findet sich in seinem Werk nicht einmal erwähnt. Erfunden ist die Bekanntschaft des Herzogs mit Fanny Elßler.

Unverkennbar spricht aus dem ganzen Werk mit seinen wirkungsvollen Stellen wie mit seinen weit geringeren Schwächen das innige Verhältnis des Dichters zu seinem Gegenstand. Rostand
hat nicht sowohl ein Drama schreiben wollen, zu welchem ihm der Herzog von Reichstadt als Held geeignet erschien, sondern vielmehr das Drama um des Helden willen geschaffen. Er hat der historischen Gestalt des Herzos von Reichstadt ein Denkmal gesetzt. Das geht auch aus den beiden Sonetten hervor, die. sich am Schluß seines Werkes finden und das Eingangswort unwiderleglich als bloße Vorsichtsmaßregel erweisen. Das Thema der beiden Gedichte ist ausgesprochen in der vorletzten Strophe des ersten:

So schlafe denn! Es irrt nicht immer die Legende;
Ein Traum mehr Wahrheit hegt vielleicht als Dokumente.
Des großen Mannes Sohn warst du, was man auch sage 1).

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1) Dors, ce West pas toujours la legende qui ment.
Un rêve est moins trompeur, parfois, qu'un document.
Dors, tu fus ce jeune homme et ce fils quoi qu'on dise.

 

 

 

Ottilie Lemke (1929)

 

 


Letzte Aktualisierung: 07.11.2005