Der historische Hintergrund zu dem Drama von Edmond Rostand „Der junge Adler" (L'Aiglon)

Der Verlauf der Handlung.

 

 

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Der fünfte Akt.
Fanden sich im vierten Akt noch historische Anklänge, so ist der ganze fünfte Akt freie Schöpfung des Dichters. Auffallend wirkt unter den Verschwörern Prokesch Osten, und doch ist sein Erscheinen bei der einmal gegebenen Voraussetzung des Fluchtgedankens keine Unmöglichkeit. Metternich traute es ihm mit Sicherheit zu, bei dem Herzog von Reichstadt ehrgeizige Pläne, also wohl auch den Gedanken an Flucht, zu erwecken; das war der Grund, warum Prokesch nicht als militärischer Mentor zugelassen wurde. Ebenso ist die Gegenwart der Gräfin Napoleone Camerata nicht undenkbar, und dasselbe gilt für den Sohn Fouchés, wenn angenommen wird, wie es im Drama der Fall, ist, daß jener Brief 1), worin Fouché sich erbietet, dem Herzog zum Thron zu verhelfen, geschrieben worden ist. Marmont, der bei der ersten Nachricht von dem abenteuerlichen Plan noch schwankte, hat sich jetzt mit Entschlossenheit auf die Seite der Bonapartisten gestellt. Die Gegenwart des französischen Diplomaten hängt nur mit der Herheiführung der Katastrophe zusammen. Er hat eine Unterredung über das beabsichtigte Attentat belauscht und kommt, um den Herzog zu warnen oder nötigenfalls zu schützen. Auf diese Weise erfährt der Herzog, welche Folge sein kurzes Spiel mit Therese gehabt hat. Er denkt jetzt nur an Napoleone Camerata. Wir erfahren noch, daß sie dank ihrer eigenen Tapferkeit der Gefahr entronnen ist, und erleben ihre Enttäuschung mit, den Herzog noch vorzufinden. Dann macht das Erscheinen Sedlinskys jedem weiteren Versuch ein Ende.

Nicht ohne Absicht hat der Dichter zum Schauplatz der kurzen Handlung den historischen Boden der Ebene von Wagram gewählt. Sich selbst überlassen, wird der Herzog von der Vision eines Schlachtfeldes nach dem Gefecht heimgesucht. Die schöne Zukunft, die er sich ausmalte, soll er und soll der Zuschauer von der anderen Seite sehen. Seine Thronbesteigung hätte mit Sicherheit diplomatische Verwicklungen und möglicherweise für Frankreich einen Krieg im Gefolge gehabt. Wir sollen mit dem Schicksal versöhnt sein, wenn wir ihn, der sich eben als Kaiser träumte, beim Erscheinen seines Regiments in die Sphäre des Alltags zurücktreten sehen. Der Held unterliegt; aber seinem Vaterlande bleibt eine Zeit der Unruhe erspart.

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1) Akt I Sz. 3.

 

 

 

Ottilie Lemke (1929)

 

 


Letzte Aktualisierung: 07.11.2005