Der historische Hintergrund zu dem Drama von Edmond Rostand „Der junge Adler" (L'Aiglon)

Der Verlauf der Handlung.

 

 

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Der dritte Akt.
Der dritte Akt spielt am Abend desselben Tages und in der darauffolgenden Nacht. Er beginnt mit der angekündigten Audienz. Aus dramatischen Gründen ist zum Schauplatz nicht das Audienzzimmer gewählt, in welchem der Kaiser die Bittsteller einzeln empfängt, sondern wir sehen das bunte Bild der Versammelten im Vorzimmer. Der Kaiser begibt sich zu ihnen.

Entgegen den Angaben bei Schönholz 1) läßt Rostand den Kaiser in Zivilkleidung erscheinen. Besonders da Franz nur einmal auftritt, hätte sein Erscheinen in Uniform eine falsche Vorstellung erweckt. Zivilkleidung war in Wien das Übliche. Vielleicht sollte seine Einfachheit dadurch noch mehr zum Ausdruck kommen. Rostand gibt für die Maske an, der Kaiser habe das längliche traurige Antlitz, das seine Bilder zeigen 2). Wie bei seinem Helden hat dem Dichter auch hier ein Bild aus der Albertina vorgeschwebt. Das Gemälde von Peter Fenal zeigt den Kaiser mit diesem Gesichtsausdruck.

Unter den Bittgesuchen sei das des reichen Bauern betrachtet. Seine Tochter liebt einen Mann, nicht nach der Wahl des Vaters. Der Bauer bittet den Kaiser, ihm durch ein kaiserliches Machtwort die Tochter zurückzuführen. Franz entscheidet zugunsten der Tochter. Die Szene erinnert an eine Episode, die bei Schönholz erzählt wird. Dort kommt der Bräutigam und bittet den Kaiser um Fürsprache bei seinem Meister, dessen Tochter er liebt. Auch hier stellt sich der Kaiser auf die Seite der Liebenden 3). Ob Rostand die Quelle gekannt und die Erzählung verwertet hat, oder ob nur eine zufällige Berührung vorliegt, vermag ich nicht zu entscheiden. Die Szene der Audienz dient außer zur Charakteristik des Kaisers als Einleitung zu der großen Unterredung des Kaisers mit seinem Enkel. Franz zeigt sich völlig willenlos, nur dem Eindruck des Augenblicks folgend. Er läßt sich die große Antwort: „Ja, Majestät" entlocken und weiß gleich darauf nichts mehr von seinem gegebenen Wort, als Metternich ihn die Sache von anderer Seite sehen läßt. Prokesch Osten übermittelt einen Ausspruch des Kaisers zur möglichen Thronbesteigung des Herzogs von Reichstadt: „Wenn Frankreich dich riefe und wenn die Verbündeten einverstanden wären, so würde ich dich wohl auf dem Throne Frankreichs sehen wollen." 4) Nun war es gar nicht denkbar, daß die verschiedenen Parteien ihre Sache verlassen und sich alle den Bonapartisten anschließen sollten, und ebensowenig wären alle Großmächte einverstanden gewesen, hatte doch England dem großen Napoleon seine Anerkennung versagt. Es waren leere Worte. Wenn Prokesch Osten sie urteilslos verzeichnete, so hat er sein Gefühl mitsprechen lassen und sich gern in einer sehr schwachen Hoffnung bestärkt gesehen.

Wie es zur Sinnesänderung des Kaisers kommt, ist meisterhaft gemacht. Die Szene ist nicht der Höhepunkt des Dramas, aber der Höhepunkt in Metternichs Rolle. Hier erscheint er als
Diplomat und Meister in der Menschenbehandlung. Vom ersten Wort bis zum letzten bewahrt er eine unerschütterliche Ruhe. Er gibt zunächst alles zu und beraubt dadurch seine beiden Gegner ihrer stärksten Waffe, der Aufmerksamkeit; sie glauben, nicht mehr auf ihrer Hut sein zu müssen, folgen seinen Gedankengängen und werden beide dahin gebracht, wo er sie haben will, der Herzog zur Heftigkeit, womit der Sieg für Metternich schon halb gewonnen ist, und der Kaiser zum Widerruf. Fast unmittelbar darauf folgt die große nächtliche Unterredung Metternichs mit Flambeau, dann mit dem Herzog.

Die Szenen bilden den Schluß des dritten Aktes und den Höhepunkt des Stücks. Hier kämpft der Held und unterliegt; hier werden die Schwingen des jungen Adlers gebrochen 5). Es wird noch zu einem Aufraffen kommen, und ich möchte den Fluchtversuch „das spannende Moment" nennen, obgleich dieses dann über zwei Akte ausgedehnt ist. Dann tritt die Katastrophe ein. Von dem geschichtlich Gegebenen entfernt sich die Handlung von nun an immer mehr. Metternich, der sich selbst „ganz einfach, ganz natürlich" nannte und „jedem Pathos abgeneigt` war, ist in den Schlußszenen des dritten Aktes nicht zu erkennen. Er ist hier nur Mittel zu den Zwecken des Dichters, „der übliche Bösewicht`, wie Doumic ihn nennt 6). Auch der Herzog von Reichstadt ist hier nur der tragische Held des Dramas.

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1) Vergl. p.80.
2) Akt III Sz. 2. Il a sa longue tête triste des Portraits.
3) Schönholz a. a. 0. p.331.
4) Aus den Tagebüchern des Grafen Prokesch von Osten 1830-1834
p. 74.
5) Über den ungeheuren Beifall, den die Szene auslöste (les applaudissements frénétiques) zu vergl. Haraszti p.161/62.
6) Le traitre de tous les mélodrames. Doumic Revue des Deux Mondes 1900.

 

 

Ottilie Lemke (1929)

 

 


Letzte Aktualisierung: 07.11.2005