Der historische Hintergrund zu dem Drama von Edmond Rostand „Der junge Adler" (L'Aiglon)

Der Ort der Handlung

 

 

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Der Ort der Handlung.
Die Handlung spielt sich in der Hauptsache in Schönbrunn ab; nur zwei Akte spielen außerhalb des Lustschlosses, der erste in Baden bei Wien, der fünfte an einer Stelle der Ebene von Wagram.

Rostand hätte für den Schauplatz des ersten Aktes den Namen „Villa Flora-Pavillon" aus Welschinger herübernehmen können'); er hat jedoch von allem Belanglosen, auch wenn es
wohlverbürgt war, abgesehen, während er charakteristische Einzelheiten von größter Feinheit auch aus der Legende verwertet. Für das Bühnenbild des ersten Aktes wird eine stillose gemietete Villa') angegeben, die zum Aufenthalt der Herzogin mit kostbaren Möbeln eingerichtet und durch Familienbilder und reichen Blumenschmuck wohnlich gemacht worden ist. Wir sehen den Salon, erkennen einen Balkon, zu dem die Glastür im Hintergrunde führt, und vermuten den Ausgang in den Garten. Auf diesem wenig bedeutenden Grunde entwirft der Dichter Bilder von größter historischer Treue.

Für den zweiten Akt ist ein bestimmtes Zimmer aus dem Schloß von Schönbrunn angegeben, der Salon rechts neben dem Schlafzimmer des Herzogs.

Schönbrunn war damals schon nicht mehr modern, es war für Fremde eine Sehenswürdigkeit aus der Zeit Maria Theresias, sie hatte es im Stil von Versailles ausbauen lassen. Rostand, dem
Franzosen, mögen einige Unterschiede aufgefallen sein, so daß er von dem „schwerfälligen deutschen Rokoko" spricht 3); schwerfällig wirkt im Sterbezimmer des Herzogs von Reichstadt die Deckenverzierung mit dem großen goldenen Stern in der Mitte. Im ganzen jedoch zeigen die Räume jene Gefälligkeit, die zum Rokokostil gehört.

Schönbrunn war dem Herzog bekannter als die Kaiserstadt, deren Straßen er wahrscheinlich nur vom Wagen aus kannte. Wohl erzählt er ausführlich, wie er am Fest in der Brigittenau teilgenommen habe; da sich jedoch an anderer Stelle das Aufsatzthema findet „Erzählung einer beliebigen wahren oder erdichteten Begebenheit", so wird man mit Bourgoing annehmen, daß er nicht aus eigener Erfahrung schreibt 4).

Nach der Angabe einer frühen Quelle verlebte der Prinz den größten Teil seiner Kindheit in Schönbrunn 5). Hier war ihm im Park ein kleines Stück Land zugewiesen worden, das er mit
einfachen Gerätschaften bearbeitete. Angeregt durch die Lektüre von Campe, spielte er Robinson, wobei sein Lehrer Collie Verständnis gezeigt zu haben scheint 6). Eine „Requisitenkammer", die er sich selbst in einem aufgeworfenen Hügel angelegt hatte 7), mag als Höhle gedient haben.

Es trifft zu, wenn Rostand von der Reihe der Salons 8) spricht; sie sind aber alle nur durch je eine Tür am Ende zweier gegenüberliegender Wände miteinander verbunden.

Im dritten Akt soll durch das geöffnete Fenster desselben Zimmers der Park zu sehen sein, der im Lichte der untergehenden Sonne bis zur Gloriette hin erstrahlt. Die Gloriette ist auf einer Anhöhe erbaut und könnte daher nur dem am Fenster Stehenden sichtbar sein. Es ist ein Ruhmestempel in Form einer Säulenhalle mit erhöhtem mittlerem Teil und bildet einen architektonischen Schmuck und zugleich den Abschluß des Parkes.

Das Fest des vierten Aktes geht im Grunde des Parkes, am Fuße der Anhöhe vor sich. Die künstliche römische Ruine mit dem Wasserbecken davor ist sehr treu geschildert.
Für den fünften Akt ist die Ebene von Wagram angegeben, was die Einzelheiten anbetrifft, eine Phantasielandschaft.

Das Sterbezimmer des Herzogs, der Schauplatz des sechsten Aktes, soll auf der Bühne dargestellt werden, wie es noch heute gezeigt wird. Erhalten sind das Sterbebett und die dunkeln Möbel. Die Wände sind mit kostbaren Gobelins bedeckt. Der Raum wirkt in der Tat düster und prunkvoll 9).

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1) Welschinger Le Roi de Rome p.333.
2) banale villa de location.
3) rococo lourd allemand.
4) Bourgoing a. a. 0. p. 96.
5) Freudenreich, Das Lustschloß Schönbrunn p.23.
6 ) Wertheimer a. a. 0. p. 294.
7) Freudenreich a. a. 0. p, 23. s
8 ) l'enfilade des salons.
9) sombre et somptueux.

Ottilie Lemke (1929)

 

 


Letzte Aktualisierung: 07.11.2005