Neidenburg

Winter 1911 – Herbst 1912

Elisabeth Jankowsky, geb. Lemke

 

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Nach der Heirat wurde alles ganz, ganz anders.
Blütenblätter bedeckten den Boden wie Schnee, bis sie, wertlos geworden, braun und unansehnlich sich der Erde verbanden. Wo Blüten geträumt, hingen Früchte am Baum – hart und grün, zu wenig Sonne, und viel Regen hatten sie nicht reifen lassen. Der Wuchs der Zweige war nicht systematisch gerichtet. Manche wucherten regellos, kräftig und schön, andere, die ein zu schweres Gewicht verbogen und zerbrochen hatte, bildeten durch Efeu und Hopfen herabgerissen und überwachsen eine regellos-romantische Welt.

Alle Gewohnheiten, Liebhabereien, Ziele waren grundlegend umgewertet. Wie sich da behaupten, wie sich wenigstens zurecht finden? - Die Bücher?

Man mag nicht von den „stummen und doch beredten Freunden“ sprechen – es ist ein so abgegriffenes Wort – man mag es gar nicht anführen – aber sie waren doch nun einmal die liebsten, treuesten Freunde, die großen Tröster!
Es war kein Geld da für neue – die Einrichtung war ja noch ganz unvollständig – kein Platz für die alten – auch sie waren unwirklich, wertlos und vergangen; wie gestorben schienen sie mir – wie Mumien, wenn ich in der Bodenkammer den Deckel von den Bücherkisten hob. Im Amtszimmer standen ein uraltes Lexikon, ein paar Klassiker und dürftige Fachliteratur. Man las nicht nicht viel in Neidenburg.

Nach einem halben Jahr klagte ich Dora mein Leid, und sie schickte mir leihweise von Zeit zu Zeit ein Paket. Es war eine große Hilfe. Schweitzer1 sagt einmal, man könne oft den Menschen, die einem geholfen, ihre Güte nicht vergelten, aber wie sich um den ins Wasser geworfenen Stein immer weite Ringe ausbreiten, so kann man dankbar als Folge der erwiesenen Guttat, anderen das gleiche erweisen. Ich dachte an Doras Hilfe, die mir in Neidenburg so viel bedeutet hatte – lernte ich doch durch diese Sendungen die so sehr geliebte Irene Forbes-Morse kennen. -
Ich war deshalb froh, nach dem Kriege2 Mieze Heumann3 helfen zu können, die sich in ein weltverlorenes Jagdhäuschen in Franken – Strandgut aus dem großen Schiffbruch – glücklich gerettet hatte. Sie sehnte sich nach Büchern, die ich ihr nun regelmäßig schickte, bis sie in Würzburg mit ihrer durch den Krieg verwitweten Tochter und deren zwei Kindern eine neue Heimat fand.

Ach ja, es war alles so ganz, ganz anders! Ich war mir selber fremd. Dauernd in Anspruch genommen und erdrückt von einer fremden Mentalität, überfordert, wurzellos in den neuen Bezirken!

Es war feucht - halb Regen, halb Nebel, als wir auf dem Neidenburger Bahnhof ankamen, der wie oft in kleinen Städten, weit draußen lag. Ich war müde, und nun machte Rudolf noch Umwege, weil er nicht dauernd angesprochen und aufgehalten sein wollte. An einer Straßenecke neben einem großen Mietshaus ein hochgestellter Stein mit dem Kopf Bismarcks als Relief, umgeben von ein paar dürftigen Büschen. Dort war Rudolfs Junggesellenwohnung. „Wir werden schon mit der Zeit eine schönere finden, es werden neue Häuser gebaut,“ sagte er tröstend.

Rechts von dem kleinen Korridor lag das Schlafzimmer, neu tapeziert – kornblumenblau. Ich liebte blaue Tapeten nicht – Blumensträuße, helle Farben – dachte ich und sah durch's Fenster auf einen schlecht gepflegten Hof. Ich schlief gern bei offenem Fenster, aber als später einmal eine Kuh4, ihren Kopf hindurch steckend, mich mit Gebrüll weckte, hielt ich es lieber geschlossen.

Auf der anderen Seite des Korridors war das Amtszimmer. Ein sehr langer Tisch und drei Regale, alles aus Tannenholz und nur gebeizt, eine Chaiselongue5 ohne Decke. Nach der Enge und Ärmlichkeit des Büros kam mir das Zimmer daneben fast gemütlich vor, obgleich es einen Vertikow6, ein grünes Sofa mit Umbau und eine scheußliche Tapete mit vielen kleinen schwarzen Punkten hatte, die wegzuwischen man unwillkürlich man den Wunsch hatte. „Es lohnt sich nicht, alles neu zu tapezieren, wir ziehen ja doch um, und von den Sachen musst Du eben sehen, was wir brauchen können. Ich habe sie von Frühling in Königsberg auf Abzahlung gekauft. Es ist noch nicht erledigt. Du weißt ja, ich hatte noch Schulden aus der Studienzeit.“ Sein Ton war bitter7.

„Der Teppich ist sehr hübsch“, sagte ich anerkennend. Er war ganz schlicht ohne Muster in zwei Schattierungen eines gedämpften Grün gehalten. Das Grün des Sofas aber gleich „durchgedrehtem Spinat 'handelsüblich' giftgrün gefärbt“; jede Farbe außer schwarz und weiß musste sich mit diesem Grün beißen. In welchem Kleid sollte ich darauf Platz nehmen? Ich hatte ein gutes Wollkleid rötlich – lila – ein Gesellschaftskleid fliederfarben und hellblaue Waschkleider. In einer Ecke stand die Vitrine von zu Hause. Dresdener Rokoko. Die Mutter hatte immer die Saloneinrichtung für mich bestimmt, da Marie ja das Esszimmer und so vieles andere hatte, das ich ihr auch von Herzen gönnte. Sie hatte die Sachen benutzt aber nun nach Neidenburg geschickt. Es hatte ja noch mehr dazu gehört, als nur die Möbelchen – der helle Teppich, die Krone aus venezianischen Glas, die Bronzeleuchter. Na, ja.

Mein Mann hatte sich vor die Vitrine8 gesetzt und staunte sie an. Ich hatte gedacht, ihm, dem Bauernsohn und Jäger würde die alte Truhe und besonders die Anrichte9 von anno 1750, die ich mir auf Umwegen mit Mühe aber wohlfeil verschafft hatte, besonders gemäß sein. Er erklärte sie aber als unpraktisch, hätte ein übliches Buffet vorgezogen und bewunderte nur „den Fremdling“, der auch wirklich von einem anderen Stern hergeweht schien. Es musste schön sein, sich mit einer offiziellen Aussteuer alles hübsch einzurichten, „ein Nest“, wie manche neckisch sagten; aber schließlich hatte ich hier die Hauptsache: ein „Zu Hause“, „for good and for worse“10, wie es in der englischen Trauformel heißt. -

Auf dem Tisch Glückwünsche und Blumen. Bei zwei besonders schönen Alpenveilchen und Tulpen stand auf den Visitenkarten: Rechtsanwalt Nadolny und Frau, Regierunmgsrat Lindemann und Frau. Durch das schmale, hässliche Berliner Zimmer mit den Esszimmermöbeln ging man in die Küche, durch einen kleinen, nicht zweckbestimmten Raum mit Fliesen hindurch, der einen Balkon hatte. Ich habe dort nicht ein einziges Mal gesessen, obwohl ich das Bismarck-Relief da so schön hätte bewundern können, auch die Kästen nicht bepflanzt. Es war mir zwar peinlich, wenn andere mit blau-rot-weißen Semiramisgärten prangten und meiner hinter dem Stern zum Glück etwas versteckt, nur ein paar versamte Unkräutleion zu bieten hatte, die das vernachlässigte Aussehen noch besonders unterstrichen. Aber im Herbst, konnte ich mich trösten, da war überall die Pracht vorbei, und schön beschneit sah nachher einer aus wie der andere.

Es gab kein Mädchenzimmer. Das Mädchen schlief in der Küche in einer Schlafkommode. In Neidenburg lebte man wie wohl die Leute vor ein paar hundert Jahren. Es gab keine Kanalisation, kein Krankenhaus, keine Wasserleitung. Zum Glück Gas in der Küche, aber ein sehr schlechtes Gas, im allgemeinen benutzte man lieber den Herd. In den Zimmern Petroleum- oder die ganz modernen Spirituslampen. Gasbeleuchtung machte auch so hässlich.
Das Wasser zum Kochen und zum Trinken holten die Mädchen von dem 10 Minuten entfernten Brunnen, das Wasser für die Wäsche von der Pumpe in dem schmutzigen Hof. Nur der Amtsrichter Matthes, der im selben Haus wohnte, der große Jäger und Fallensteller – seine Frau hatte eine luxuriöse Steinmardergarnitur – trank es auch. „Es schmeckt würzig“ sagte er. Uns andere schauderte es. Das Badehaus hatte hölzerne Wannen. Ich war einmal dort, aber gebadet habe ich dann doch nicht. Wer ein Freibad wünschte, fuhr per Rad zu den nahen Seen, wo die Jugend zusammen badete, was sehr getadelt wurde, ebenso wie die zu kurzen Radfahrröcke, die die halbe Wade sehen ließen. Die Neide war zum Baden nicht geeignet; sie trug sicher Mitschuld an dem herrschenden Dauertyphus.

Mein Mann hatte noch zwei Tage Urlaub. „Was wollen wir tun?“ fragte er beim Morgenfrühstück. „Zusammen sein, natürlich; vielleicht wandern, die Gegend entdecken“.
„Und das Mittag?“ - „Das ist doch Nebensache.“

Eine der vielen neuen Pflichten drängte sich gebieterisch vor und verlangte ihr Recht.
Die Mahlzeiten!
Das Planen, und Einkaufen und Vorbereiten, das Kochen!
Das Essen hatte bis dahin in meinem Leben keine große Rolle gespielt. Gewiss, es war unendlich gemütlich gewesen, besonders an Sonntagen oder nach einem Eislauf in Walters Gesellschaft, mit dem ich mich in allem so gut verstand, Kaffee zu trinken mit ungezählten Honigbrötchen, und die schwäbischen Gerichte der Mama, diese köstlichen Aufläufe, Obst- und Käsekuchen wurden von uns allen mit Freuden begrüßt. Aber je länger desto weniger wollte ich Fleisch und Fett sehen, und während der Studienjahre kam es mir schon gar nicht darauf an, das Mittagessen auszulassen, wenn ich nur morgens am Hafen in der Kaffeestube von Frau Klatt mein Frühstück gehabt hatte: Kaffee und Gebäck; Preis: 25 Pfg. Was machte es, dass der Kaffee in der unförmig großen Tasse leicht strandig schmeckte und der Zucker auf den Schnecken und Hörnchen feucht-klebrig war – die Sonne brach durch den Frühnebel und gab den schattenhaften Silhouetten der Schiffe Gestalt und Leben, dem Gefieder der Möwen ins Rötliche schimmernde Weiße – ich würde noch ein wenig durch die Anlagen bummeln – etwas leuchtete dort immer, auch wenn es keine Blüten mehr gab, die Ebereschen, die Eisbeeren, das glänzend-braune Kindheitswunder der Kastanie.

Warum nur machten die Hausfrauen sich so viel Plage mit dem Sonntagsmenü? Oft im Winter, wenn ich in der Stadt Stunden gegeben oder genommen hatte und durchfroren nach Hause kam, stand ein Rest Milchreis in der Ofenröhre mit Zucker und Zimt, schön überkrustet durch die Wärme. War das nicht genug? Und nun in der Ehe gab es endlose Debatten über Küchenfragen, die schon an sich in Neidenburg so schwierig waren.

Das Morgenfrühstück wenigstens war nicht kompliziert. Der Bäckerjunge tat schon morgens um fünf Uhr die Brötchen in den Beutel, der an der Klinke hing. Der Milchmann füllte die Kanne, die vor der Türe stand. Dazu kam täglich ¼ Pfd. Leberwurst, manchmal auch ½ Pfd. Sülze. Im Frühling kamen noch oft 2 Eier hinzu, die mein Mann gern roh trank, was nicht mein Geschmack war, da Trinkeier möglichst frisch vom Nest für mich mit kuhwarmer Milch zu einem Begriff verschmolzen – ländliche Fürsorge für kümmerliche Städter, eine Fürsorge, die mir so oft dringlich angeboten wurde, weil mein Steckbrief seit frühester Kindheit auf „etwas schmal und blass“ lautete. Ich zog mein Glas Honig oder Marmelade vor.

Nur am Gänsebraten mich voll zu beteiligen lernte ich bald. Zu Hause hatte eine Gans für die Eltern, 7 Kinder und oft noch einen Gast gereicht. Für das Personal wurde ein Stück Schweinebraten mitgeschmort, das die Mama, die weder Wild, noch Geflügel gewohnt war, dem Gänsebraten vorzog.
Nun stand für uns zwei eine Mastgans auf dem Tisch, knusprig braun und appetitlich anzusehen, und wir flankierten sie von rechts und links. Wir werden die ganze Woche von ihr zehren, dachte ich, das würde das Leben erleichtern, mittags in Sauce gewärmt, kalt mit dem Rest Schmorkohl, das Gerippe in Kartoffelsuppe – da hatte mein Mann schon eine Keule in Angriff genommen, von der braunen Brust ein Stück dazu gesellt, zum Überfluss den Pürzel als besonderen Leckerbissen vorsorglich auf den Rand seines Tellers gelegt. Da ließ ich auch die Vorsuppe, die doch helfen sollte, möglichst viel von dem Braten zu sparen, ungenützt erkalten und machte es ihm auf der anderen Seite des Bratens nach.

Als ich mit dem Abwasch beschäftigt war, folgte er mir in die Küche, um durch Wegnahme appetitlicher Stückchen und Ablutschen einzelner Knöchelchen den klein gewordenen Braten noch etwas zu „beputzen“ und abzurunden. Dadurch wurde der Küchenzettel wieder umgeworfen.

Geflügel war sehr billig und darum „gefüllte Täubchen“ - das Paar wurde auf dem Markt für 60 Pfg. angeboten – ein übliches Neidenburger Sonntagsessen. Trotzdem war die Fleischbeschaffung im allgemeinen nicht einfach, da es kein Kühlhaus und deshalb Fleisch nur einmal in der Woche gab.
Und mein Mann wollte jeden Tag Fleisch und noch dazu in bunter Abwechslung. Kleine Mengen wurden aber gar nicht abgegeben. So hatte ich 2 Scheiben Filet bestellt, um mit dem Mittagessen wenig Plage zu haben. Als ich dem Fleischergesellen die Tür öffnete, staunte ich; ich dachte, er brächte in seiner Mulde das Sonntagsessen für das ganze Haus, aber er legte die schwere Last in meiner Küche ab – ein riesiges Roastbeef mit zugehörigem Filet. Als Frau Lindemann im Frühling 1955 bei mir war, erinnerte sie mich daran, dass es ihr noch schlimmer ging. Sie hatte einen Rinderbraten für 7 Personen bestellt. Zwei Mann brachten, wie sie meinte, ein halbes Rind. Jedenfalls mussten beide Flügel der Haustür geöffnet werden.

Fische waren spottbillig, besonders wenn man sie an Ort und Stelle kaufte in den Dörfern, die an den herrlichen masurischen Seen lagen; nicht von den Pächtern, die ihre Ware nur en gros verschickten, sondern von den Dörflern direkt. Die nahmen es als ihr gutes, durch Jahrhunderte geheiligtes Recht, dass der Reichtum von Wald und See zu ihrer Verfügung stand. Entschuldigend sagte der Lehrer von seiner verschlafenen teilnahmslosen Klasse: „Die Kinder sind vollkommen übermüdet, Herr Schulrat; sie haben den Eltern die ganze Nacht beim Fischen geholfen.“ Wegen verbotenen Fischens oder Wilddieberei bestraft zu werden, galt nicht als Schande.

Der Gemeindevorsteher, dessen Amt eine gewisse bürgerliche Reputation erforderte, hatte nur eine Gefängnisstrafe verbüßt.

Mein Mann liebte Fisch und brachte von seinen Inspektionsreisen ins tiefste Masuren sehr schöne Fische mit, die er im Kasten der Cyklonette26 verwahrt hatte. Er warf sie nach der Ankunft zusammen mit feuchtem Moos und grünen Blättern auf die Erde und rief nach Schüsseln zum Unterbringen des Segens. Die armdicken Aale wanden sich im Gras, die riesigen Hechte zeigten ihr furchtbares Gebiss, die schimmernden Schleie entwanden sich schlüpfrig den nur zögernd zufassenden Händen.
„Sie leben ja noch, Rudolf, sie leben!“
„Ach, Unsinn, das sind nur Muskelbewegungen. Du musst sie schnell verwenden, weil sie geschlachtet sind.“

Aus dem Moos züngelte eine versehentlich mitgenommene Schlange.
„Es ist zuviel, Rudolf, es ist zu viel.“

„Wir könnten Bekannten einige Pfund abgeben.“
„Ja, die Aale, vor allem die Aale!“
„Freust Du Dich?“

Ich hatte reichlich zu tun. Im Keller auf dem Regal standen runde Schüsseln mit Portionsstücken von Schlei in glasklarem Gelee, dem hindurch gezogenes Eiweiß jede Trübung genommen hatte. Gestürzt, mit Tomaten, Zwiebeln und hartem Ei garniert, kamen sie zusammen mit Bratkartoffeln und Remouladensauce auf den Tisch.

Ich hatte allerlei gelernt.
Bei meinen ersten Mittagessen sah die Küche aus, als hätte ich ein Essen für 20 Personen ausgerichtet. Mal war die Mehlschwitze zu dünn geraten, dann zu dick oder klumpig, immer wieder nahm ich neue Kochtöpfe, und die Butter, diese tückische Materie, blieb hellgelb, wenn sie sich bräunen sollte und sah man einen Augenblick fort, war sie schwarz und roch abscheulich. Aber bald pflichtete ich Ottilie Wildermuth bei, die von allen Haushaltsarbeiten das Kochen als die dankbarste und interessanteste rühmt. Es durfte nur nicht gar zu viel auf einmal sein wie bei den Fischen.

Der Schlei konnte stehen in Weinessig konserviert, Barsche mit den hässlichen Gräten mussten schnell verwendet werden. Gebraten mit Kartoffelbrei. Es blieben so viele Reste; man konnte sie mariniert geben als Salat, den Kochfisch, von Gräten befreit und durch den Wolf gedreht als Klößchen – es gab kein Ende – und der ganze Umstand für zwei Menschen, von denen sich der eine mehr pro forma beteiligte – nach solch einem Beutezug roch die ganze Wohnung nach Fisch. Zu dem Riesenhecht wurden Lindemanns geladen. Er schmorte, gut mit Räucherspeck gespickt und häufig mit saurer Sahne beschöpft, zusammen mit Zwiebel-, Sellerie- und Mohrrübenscheiben in der Bratröhre. So zubereitet schmeckte er nicht sehr nach Fisch, und die Sauce war köstlich.

Dies Gastmahl – Backhecht mit frischem Gurkensalat, neuen Kartoffeln mit Petersilie bestreut, als Getränk Branneberger – wurde noch jetzt nach 44 Jahren von Frau Lindemann gerühmt. Danach gabs Kaffee, Kuchen, Likör, Obst – mein Mann liebte keine lange Speisenfolge.
Zum Programm gehörte eine Sonnenfinsternis, Frühling 1912. Ich versäumte den Höhepunkt, weil die kleine Urte11 nach mir rief, aber ich sah doch noch die Sterne am plötzlich um die Mittagszeit verdunkelten Himmel, verspürte den kühlen Hauch, der durch die Straßen wehte, den seltsamen Geruch, den man metallisch auf der Zunge schmeckte, das fremdartig-geisterhafte ansich ganz natürliche Vorgänge. Es dauerte nur wenige Minuten. Der herrliche Sommertag blaute wieder, der Hecht wurde fröhlich unter Aneinanderklingen der Rheinweingläser verzehrt, „der schwarze Kaffee nebenan“ - wie es immer bei Fontane heißt – aufgetragen, - und doch verließ mich nicht die Vorstellung, , daß das Lichte und Frohe Kulisse war dass die graue Kühle dahinter - die nur im Augenblick verschwunden war – sich langsam enthüllend gnadenlos auf uns zukam – das eigentliche Sein der Dinge. -

Urte saß im Kinderwagen neben uns; sie sah bildniedlich aus und lachte bei jedem Scherz mit als hätte sie allen verstanden – in ihrer bloßen Existenz ein zukunftsfroher Sieg, ein heller Trost für alles Kommende.

Zu den Fleisch- und Fischvorräten kam nun noch das Wildbret. In dieser entlegenen Gegend hatte mein Mann ein Jagdgebiet wie ein Fürst oder besser wie ein Waldgängen und Fallensteller. Er jagte wie wohl seine Vorfahren vor 100 oder 1.000 Jahren als Mitgeschöpf und zugleich als Herr, der Anspruch hatte auf alle Gaben von Wald und Wasser. Er wollte mir eine Freude machen, wenn er mich bat, mitzukommen, aber mir war dieser, oft undurchdringbar verwachsene Urwald – ohne Spazierwege, ohne Ruhebänke und saubere Kaffeehäuschen richtig unheimlich. Verwilderte Gärten – gut und schön, aber im Wald musste Ordnung herrschen, sonst wurde es gefährlich; man war ja in der Beziehung aufs Beste orientiert durch die Brüder Grimm.

Rudolf störten auch die Mücken nicht, vor denen ich mich unter Wolldecken verkroch. Alles kleine Getier schien meine Gesellschaft besonders zu suchen wie bei Morgensterns „nervösem Menschen auf einer Wiese“12.

„Kaum dass er gesetzt sich in die Gräser,
Naht die Ameis, Heuschreck, Schneck und Wurm,
Naht der Tausendfuß, der Ohrenbläser,
Und die Hummel bläst zum Sturm“.

Der Regen war auch kein Grund, einen geplanten Ausflug aufzugeben. Da saßen wir nun dicht am Stamm einer mächtigen Tanne, die uns tatsächlich vor einem leisen, gleichmäßigen Sprühregen schütze. „Wie ist der Wald so besonders schön bei Regen“, sagte Rudolf tief befriedigt, „und wie gut, wenn man hinaussieht und weich im Trockenen sitzt.“ Ich schauerte zusammen. „Du sprichst aus der Mentalität eines Rehbocks heraus.“ Er lachte und legte mir mitleidig seine Jacke über die Schultern.

Einmal, allerdings nur ein einziges Mal versagte die Cyklonette. Die Gegend kein richtiger Weg, nur Schneisen. Meine neuen, hellbraunen Schuhe wurden hoffnungslos nass und schmutzig, wir waren sehr hungrig, und nun kam auch noch die Nacht. Wir saßen mal wieder unter einem Baum und überlegten, d.h. Rudolf überlegte; er hatte einen wunderbaren Ortssinn. „Bis zum nächsten Dorf sind es noch 2 Stunden.“ „Weißt Du den Weg?“ „Ich weiß die Himmelsrichtung“. Ein höllisches Lachen, ein durchdringendes Schreien in der tiefen Stille ließ mich schnell Rudolfs Hand ergreifen. „Entsetzlich, was ist das?“ „Eine Eule; sie hat sich mehr erschreckt als Du.“ Wir gingen weiter, da plötzlich ein Licht – Hundegebell – eine scheppernde Glocke am Glockenzug, die sich gar nicht beruhigen kann, eine Petroleumfunzel hinter einer vorgehaltenen Hand, „das Wirtshaus im Spessart!“ Wir bekamen Bratkartoffeln – versalzen durch den scharfen, alt schmeckenden Sommerspeck, kalte, harte Eier, die dann doch weich waren, Brot, das Vollkornbrot im Quadrat war – ich hatte das Gefühl, Getreidekörner zu essen, und Butter, die nach lange aufgesparter Sahne schmeckte.

Unserm armen Tasso bekam das hastig verschlungene Essen auch nicht.Ihm wurde schlecht. Die als Lektüre mitgenommenen Zeitungen mussten helfen; er wimmerte und beruhigte sich erst, als ich ihm meinen Unterrock als Lager gab. Die Matrtzen hart, die Zudecke wie Blei. Ich fühlte mich kreuzelend am nächsten Morgen und sah auch so aus; aber Rudolf war wohl und vergnügt. Er hatte gut geschlafen, sich an der Pumpe ausgiebig gewaschen - „so ohne Wasserleitung, das erfrischt doch ganz anders,“ warmes Wasser aus der Küche selber geholt und sich rasiert und aß nun hartes, schwarzes Brot mit Räucherschinken und einem Korn und dabei unterhielt er sich mit dem Wirt über Existenzmöglichkeiten in dieser verlassenen Gegend.

Er sah mich ganz erschrocken an, als ich dazu kam. „Du siehst ja ganz krank aus, so schmal und blass,“ „und grün“ setzte ich hinzu der Abwechslung wegen. Er bestellte Tee, und der Tee war ganz ausgezeichnet, wie häufig im Osten, heiß, duftend und stark.

Zu Hause warf ich alle Sachen von mir, gleich in den Waschzuber; nur schade, dass wir kein Badezimmer hatten, aber schließlich gings auch so; das Schlafzimmer schwamm. Oh, wie schön“, dann im sauberen Zimmer zu sitzen.

„Das Wetter hält sich,“ sagte mein Mann, „wenn Du mir die Statistik über die privat unterrichteten Kinder abnimmst, könnten wir morgen auf den Bock13 gehen.“ „Morgen?! Ich denke, wir ruhen uns erst mal aus.“ „Ich bin nicht müde, es war doch ganz nett trotz oder schließlich auch wegen der Panne. Der Wirt erzählte mir ...“ Ich hatte Sorgen und hörte nicht viel.

Ich war einmal dabei, als ein Bock, von der Kugel getroffen, mit einem Satz im Dickicht verschwand. Rudolf fand eine schwache Schweißspur14 und einen winzigen Knochensplitter. Er wurde blass vor Erregung und Kummer.“Der Knochen muss vom Bein herrühren, das ist ein Schlumpschuss15. Getroffen ist das Tier, aber nicht tödlich. Er wird sich hinlegen, um zu verenden. Es wäre Quälerei, es jetzt aufzustöbern; wir müssen mindestens eine Stunde warten. Und so saßen wir denn mit dem unruhig winselnden Hunde, bis endlich, endlich die Suche begann.

Sie war kurz. Nur wenige Schritte von der Stelle, wo es getroffen, lag das schöne Tier auf dem weichen Moos wie von freundlicher Hand gebettet. Der Schuss war ganz unten durchs Herz gegangen und hatte den Knochen ein wenig gestreift. Daher der Splitter, der meinen Mann so geängstigt hatte. Um doch auch richtig mitzumachen, reichte ich ihm mit „Weidmannsheil“ einen Bruch16, den er „Weidmannsdank“ murmelnd, zerstreut an den Hut steckte.

Dann eilte er nach Hause mit seinem Schritt, der so langsam schien und ihn doch so schnell vorwärts brachte, ich etwas atemlos hinterher.
Er klingelte den Amtsrichter heraus, der über uns wohnte und gerade schlafen gehen wollte aber sich nun begeistert zur Verfügung stellte. Die Jagd war ja seines Herzens ganze Freude; um in Neidenburgs Jagdgründen bleiben zu können, hatte er bessere Stellen mehrfach abgelehnt. Als sein 9-jähriger Junge gefragt wurde, ob er auch einmal Amtsrichter werden wolle, lehnte er ab: „Ach, immer nur im Wald sein, das ist auch nicht sehr schön.“ Viel zu schnell hörte ich die Hupe im Hof, wo das Wild von den beiden Jägern gleich aufgebrochen17 wurde.

Nun konnte ich die halbe Nacht in der Küche zubringen, die ich schon in der Dämmerung mied, weil dann manchmal Ratten von dem schlecht gehaltenen Hof über die wurmstichige Treppe ins Haus kamen. Einmal vor meiner Heirat war da auch ein Hund hereingeschlichen, der meinem Mann nach seinem ganzen Gebahren unheimlich vorkam, sich aber verjagen ließ; zum Glück, denn am nächsten Tag wurde er wegen ausgebrochener Tollwut erschossen. Meinem Mann durfte ich jetzt nicht die Freude verderben. Strahlend kam er mit aufgekrempelten Armen herein und setze das Gehörn18 in meinem besten Kochtopf aufs Feuer. „Pass nur auf, dass der Knochen ganz im kochenden Wasser ist; aber nichts darf an die Rosen19 kommen, um Himmelswillen nicht, sonst werden sie blass. Und hier ist das Hirn, mach es gleich für Matthes und mich zurecht mit Setzei; aber vergiss Zwiebel und Pfeffer nicht, und hier sind auch Lunge und Herz, das „Jägerrecht“. Aber das gehört mir ja ohnehin.“

Damit lief er wieder auf den Hof.

Die Mitglieder des Jagdvereins durften das erlegte Wild behalten, auch verschenken, aber nicht verkaufen.
Ich war vor allem für Verschenken! Es wurde ja zu viel! Ein ganzer Bock!

Und alle die Rebhühner! Ich verstand es bald, sie mit dünnen Streifen von Räucherspeck, die auf die Brust gelegt wurden, in Blätter von echtem Wein gewickelt mit einem Hauch von Wacholderbeeren in Palmin anzubraten, in Butter zu bräunen und mit saurer Sahne zu begießen. Die alten mit den Füßen, die niemand wollte, die aber viel fleischiger waren als die jungen, wurden unter Zugabe von einem Esslöffel Rum eine Viertelstunde vorgekocht; dann waren sie ebenso lecker und viel ergiebiger als die jungen. Rezept von Frau Matthes, klar!

Bei der Zubereitung der Schnepfen musste noch mehr Kunst aufgewendet werden, und der ganze Vogel war doch nur ein einziger kleiner Bissen! Ich hatte mich getäuscht, wenn ich gedacht hatte, diese Dingerchen würden schnell weich sein; sie brauchten ihre Zeit. Bei der Zubereitung von Wild half Rudolf mit und gab Anweisungen:
„Nur den Mastdarm entfernen, Liesel, nur den Mastdarm, alles andere zu Schnepfenbrötchen nehmen auf Toast ...“
„Ich weiß, es steht ja in der Doennig.“
„Und nicht den Kopf beschädigen, ja nicht den Kopf, vor allem Vorsicht mit dem Schnabel! Der ganze Vogel mit Kopf und Schnabel muss auf die Platte ... ich denke wir laden Nadolnys ein, Lindemanns.“
Schnepfenbrötchen! Graf Trenck hatte von ihnen erzählt, aber gesehen oder geschmeckt habe ich in Langendorf und Pomedien nicht einmal eine Schnepfe selbst, obwohl man auf den Schnepfenstrich20 ging, obwohl man an den Sonntagen zur Zeit des Schnepfenstrichs fleißig zitierte:

Pauli: da kommen sie!
Laetare: das ist Wahre,
Judica: sind sie auch noch da
Palmarum: Trallarum
Quasimodo genitis: Halt, Jäger halt, jetzt brüten sie!

Der Schnepfenstrich! Während ich ein wenig Mehl anrührte – nur ganz wenig, gerade genug, um die Sahne nicht gerinnen zu lassen und die Sauce etwas zu binden, während ich den ganz neuen Sauerkohl auf die Seite des Feuers zog und die Preiselbeeren in Glasschalen füllte, dachte ich an den Schnepfenstrich in Langendorf.

Oh, die grau-samtene, silbrige Dämmerung über frisch umgeworfenen Schollen, über dem grünen Teppich der Wintersaat, eine so still-tröstliche Dämmerung, die unter den Bäumen, wo wir standen, langsam in Dunkelheit überging. Überall Geheimnis, Hoffnung und Versprechen. Der Vorfrühling hatte noch keine Blumen, die Erde, die Baumrinden, die Kräuter gaben der Luft eine unvergleichlich kräftig-aromatische Mischung.
Wir gingen meistens zu zweien.
Ach, ja – ich sprach zu Rudolf nicht viel von diesen Erinnerungen. Er genoss diese Frühlingssimmung als etwas ganz selbstverständlich zum Jahresablauf gehörendes, aber Jagdausflüge, die nicht einmal der Beobachtung des Wildes dienten, nicht wenigstens einen Rucksack voll Pilze, einen Strauß Waldmeister einbrachten, waren in seinen Augen etwas verächtlich. Sein Schnepfenstrich war anders. Mir wurde das Gehen schon schwer, und der lange Anmarsch hatte mich ermüdet. Ich bemerkte nichts von Farbe und Duft; ich kauerte auf der von ihm sorglich mitgebrachten Decke, die die Feuchtigkeit doch nicht ganz abhalten konnte.

Rudolfwar viel zu erwartungsvoll angespannt, um Kälte oder Ermüdung zu fühlen.
Und dann – kamen sie wirklich!
Man hörte das leise Quorren – gegen den rosa-grünen Sonnenuntzergangshimmel hoben sie sich in deutlicher Silhouette ab – der kurze Körper, der kleine Kopf mit dem langen Schnabel – der Hund neben mir zitterte und wagte keinen Laut, Rudolf stand wie aus Stein, der Schuss fiel. Die Vögel wurden gesucht, Tasso winselte vor Aufregung - „Die nächsten, die kommen, lassen wir vorbei“. - Ein Blick – verständnislos und fremd. -

Unter den Neidenburger Jägern galt mein Mann als Meisterschütze. Beim Tontaubenschießen bekam er den 1. Preis, eine farbige Gravüre der „Nachtwache“, aus der wir uns zwar beide nichts machten, aber ich wenigstens war stolz auf die Ehre.. „Ihr Gatte, Donnerwetter, der holt selbst die Bekassinen21 als Doublette22 herunter!“ Die Bekassinen meckerten in Zickzack-Liebesspielen über den feuchten Wiesen.

Ein Sonntagsspaziergang, mal ohne Gewehr, dann stieg meine Begleitung an Wert. In den im Sommer trockenen Gräben stand jetzt das Wasser. Ich wollte von den Vergissmeinnicht am Rande pflücken, aber Rudolf zog mich schnell und leise zurück. Er blickte starr ins Wasser.
Im Flüsterton: „gib mir Haare!“ - „??“ - „Von Dir; für den Hecht zur Schlinge.“
Nun sah ich ihn; einen großen Hecht, der zum Laichen in den Graben hochgestiegen war und ganz still stand. Ich spendete 3 Haare, die mein Mann geschickt zur Schlinge knüpfte, aber meine Bewegungen waren zu hastig gewesen; der Hecht war verschwunden, und ich floh glücklich über die entronnene Beute auf die trockene Chaussee.

Es gab auch Treibjagden, aber nicht als gesellschaftliches Ereignis. Wie schön waren sie in Langendorf gewesen! Helle Räume, Musik und Tanz wie bei den großen Bällen, aber nun noch verschönt durch das sportliche Leben und Treiben in der bezaubernden Schönheit, die die Winterlandschaft für den Reichen hat. Es war sooo vergnügt! Ich hatte gerade eine Karte mit 20 Unterschriften bekommen:

„Wie oft bei Tanz und Lustbarkeit,
Hat Fräulein Lemke uns erfreut.

Jetzt trägt sie mit vieler Würde
Ihres Haushalts schwere Bürde.“

Liesel, woran denkst Du nur? Ich muss gleich fort. Wo ist der Proviant?“

Die Geselligkeit in Kleinstädten hatte gerade damals viel für sich. Es gab kein Kino, keinen Rundfunk, kein Theater, Konzert, keine Vorträge. Man war auf sich selber angewiesen. Hausmusik und Liebhabertheater23 im Winter, Waldausflüge mit Picknick im Sommer und die ausführlichen Kaffees!
Ich habe das alles genossen, obwohl mein Mann aus von beiden Elternteilen ererbter Anlage zu quälender Eifersucht und einer tiefgründigen Ablehnung offiziellen Verkehrs die frohe Kleinstadtzusammengehörigkeit nicht mitmachte. Die beiden sich schnell folgenden Schwangerschaften verboten ja auch vieles, wenn schon die Neidenburgerinnen sich nicht so sehr absperren ließen. Ich erlebte es zweimal, dass eine junge Frau schnell aufbrechen musste und am nächsten Tag ein Kindchen hatte.

Was mögen die Neidenburger manchmal von mir gedacht haben? Mein Haushalt war so gar nicht musterhaft, und ich war so unbekümmert in Toilettefragen24. Ich war zu einem Holzhändler in seine prächtige Villa zum „Waffelessen“ geladen. Ich hatte eine gestreifte, seidene Bluse an und einen dunklen Rock. Und da kamen Gäste in hellen, seidenen Ballkleidern. Es gab außer den Waffeln alles, was man sich nur wünschen kann und endete um 3 Uhr morgens mit Tanz und Sekt. Meine Einfachheit störte mich nicht.

Kaum zwei Jahre waren wir dort. Als Freundschaften erblühten, hörte alles auf. Mein Mann wurde nach Bromberg25 versetzt. Es galt als große Beförderung, denn mein Mann war der jüngste hauptamtliche Kreisschulinspektor in Preußen und kam in eine große Stadt. An dem Abschiedsessen, das ihm offiziell von der Lehrerschaft gegeben wurde, konnte ich leider nicht teilnehmen. Beim Nachhausekommen erzählte er mir, er hätte sich bei einem Lehrer besonders bedankt, weil dieser die weite Fahrt aus seinem abgelegenen Dorf nicht gescheut hätte, um sich zu verabschieden. „Ich“, hätte der Lehrer gesagt, „ich kam hauptsächlich wegen Ihrer Frau; ich war einmal bei Ihnen und sie war wie ein Engel.“ „Nein“, rief ich, „das ist nun wirklich mal ein nettes Urteil; wie sieht er denn aus?“ „Alt und hässlich“ war die Antwort, „er schielt auch und hinkt.“ „Rudolfchen, ich glaube Du übertreibst ein bischen; Du willst diese schöne Ansicht entwerten.“

Wieder wie in Pomedien, in Bendiglauken und Königsberg wehte gerade bei meinen Abschiedsbesuchen ein leiser Wind. Ich staunte fast, wie sich Bindungen schmerzlos lösten. Aber eines war nun so ganz anders.
„Das zu Hause“ nahm ich mit.

 


1Albert Schweitzer; Arzt, Komponist, Humanist, Missionar

2II. Weltkrieg

3Verheiratete Kroek

4Elisabeth liebte Tiere – aus der Entfernung

5Ein Sofa, eine Liege - „chaise longue“ = langer Stuhl, wörtlich

6Halb hoher Schrank

7Rudolfs Vater war sehr sparsam, eher geizig; er unterstützte ihn nur äußerst knapp

8Glasschrank

9Heute oft: Sidebord

10Ähnlich der deutschen Trauformel: „in guten und in schlechten Zeiten. (Unterschied: „worse“ = schlechter, Komparativ)

11Älteste Tochter Urte Schoening, geb. Jankowsky

12Das Gedicht heißt „Philantropisch“ und lautet vollständig:

Ein nervöser Mensch auf einer Wiese
wäre besser ohne sie daran;
darum seh' er, wie er ohne diese
(meistens mindstens) leben kann.

Kaum dass er gelegt sich auf die Gräser,
naht der Ameis, Heuschreck, Mück und Wurm,
naht der Tausendfuß und Ohrenbläser,
und die Hummel ruft zum Sturm.


Ein nervöser Mensch auf einer Wiese
tut drum besser, wieder aufzustehn
und dafür in andre Paradiese
(beispielshalber: weg) zu gehn.



Übersetzung von Snodgrass und Segal:

Philanthropically

A nervous person with a meadow
Would be better off with none.
Let him discover how life can be led a-
      -way (in the main) from one.

No sooner will he have settled there
Than ants come, grasshoppers, worms,
Centipedes creep up; a bug's in his ear;
      Bees' buzzers sound alarms.

A nervous person with a meadow
Had better arise straightway
And got another paradise instead o'
       Meadows (for instance, away).



13Jägersprache: Auf den Bock gehen = auf die Jagd nach einem Rehbock gehen

14Jägersprache: Blutspur

15Jägersprache:

16Jägersprache: Kleiner Zweig

17Eingeweide entfernen

18Das Gehörn des Rehbocks ist ein Geweih, denn es wird im abgeworfen und wächst neu.

19Unterster, zerfurchter Teil des Geweihs des Rehbocks

20In der Balzzeit versammeln sich die Schnepfen an einer Strecke („Strich“), die sie auf- und abfliegen

21Schnepfen

22Zwei mit einem Schuss

23Heute: Laienspiel

24Modefragen

25Bromberg in Posen, nach dem I. WK polnisch: Bydgoszcz

26

(Einige der Fußnoten wurden zitiert aus der deutschsprachigen Wikipedia http://wikipedia.de/ )  


© Jost Schaper, Bad Pyrmont, 2007
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Letzte Aktualisierung: 01.11.2007