Dr. Jankowsky und ich gingen miteinander, als die Sonne hinter den
Sandhügeln der Putschine
unterging. "Wie die Kiefernstämme leuchten, Herr Dr., sehen
Sie nur , so als glühten sie von innen heraus. Er blieb stehen,
sah von den Kiefern nach dem Horizont, indem er dabei das linke Auge
zukniff, als zielte er. "Es wird morgen regnen." Mich
überkam hier draußen ein seliges Gefühl der
Entspannung. "Wie still es ist." "Stil! Das nennen Sie
still! Hören Sie doch einmal genau hin." Er hatte recht.
Ein Wagen rumpelte auf der Chaussee; ein Hund schlug an, und von der
Stadt her kam ein unbestimmtes Summen und Rauschen, als hielte man
eine Muschel ans Ohr."
Still, so richtig still ohne störende
Menschennähe hat man es leider nur ganz selten; einmal an einem
Sylvesterabend zu Hause in Eggleningken; es schneite nicht, nur
kleine Schneekristalle hielten sich schwebend in der Luft. Ich stand
so ruhig, daß ein Hase ohne Scheu bis zu mir heranhoppelte und
meine Stiefelspitze beschnupperte. Da mußte ich doch lachen,
und der Hase bekam einen Schreck. Rätsch, rätsch, schallte
es mißtönend in meine Worte. "Ein Specht! Im Frühling
trommelt er manchmal auf einen Ast, daß es schallt,
wahrscheinlich, um das Weibchen zu locken. Ich habe es oft gehört."
Wir standen still. "Mit euch Herr Dr., zu spazieren, ist
ehrenvoll und bringt Gewinn. Schade, daß wir uns nicht früher
kannten; wir hätten uns doch einmal in Königsberg treffen
müssen, als Sie studierten." "Ich habe Sie auch einmal
gesehen." "Wie interessant! Wo denn?" "Auf den
Hufen. Sie hatten einen für Ihre Kopfform viel zu großen
Hut mit Rosen auf und sahen ein wenig schmal -" "und blaß
aus," ergänzte ich. "Ja,und ein bißchen
melancholisch. Mein Begleiter grüßte Sie und erzählte
mir, daß Herr G.E. Ihnen einen ganzen Winter nachgelaufen wäre,
um sich dann zurückzuziehen, als er von Ihrem Vermögensverlust
hörte." "Sollte das wirklich allein der Grund gewesen
sein? Ich habe mir damals sehr den Kopf zerbrochen, warum er so
plötzlich nichts mehr von sich hören ließ; jetzt
würde ich mich nicht mehr wundern. Liebe kommt und geht, ganz
ohne Grund."
"War er Ihre große Liebe?" "Ach behüte,
meine große Liebe waren immer Sie - gleich beim ersten Sehen in
der Bahnhofstraße." "Ach," sagte er und
lächelte, "ja dann - dann verstehe ich nicht, warum wir uns
nicht küssen." Ich seufzte - wie schien er mir resigniert
und welterfahren. "Immer dasselbe, Herr Dr., Männer sind
uniform. Eine große Liebe hat mit Küssen gar nichts zu
tun." "Nur mit Heiraten wahrscheinlich, und dann sitzt man
in der Misere, die Frau scheuert Treppen, und die große Liebe
ist längst fort." "Nein, das stimmt nun auch wieder
nicht; ich sprach von einer großen Liebe ganz zur eigenen
Freude. Sehen Sie, für Menschen Ihrer Art, die sich leicht
langweilen, ist sie direkt als Unterhaltung zu empfehlen. Wie
spannend ist mein Verkehr mit Ihnen, ohne daß wir
zusammenzukommen brauchen. Wie viele Gespräche habe ich ganz
ohne Ihr Zutun mit Ihnen geführt, wie viele Debatten
ausgefochten. Ihr Bild hat in meinem Herzen - verzeihen Sie, bitte,
diese lyrische Bezeichnung, aber wenn man von Liebe spricht, kommt
man ohne gewisse abgestempelte Begriffe nur schwer aus - ja , also
wie viele Wandlungen hat es durchgemacht, Inkarnationen, so zu sagen,
auf der Ebene des rein Geistigen -." "Und da würde
ein Kuß uns doch auf die Ebene des Rein. Körperlichen -"
"Bitte nicht." "Schön, er würde uns also euf
die Ebene des Wirklichen führen." "Unmöglich, ich
bin jetzt gerade am Anfang einer 3. Inkarnation; da ist vom Küssen
oder nur Du-Sagen überhaupt nicht die Rede. Ja wenn Sie mich
zufällig getroffen hätten, sagen wir am Ende der ersten
Inkarnation oder in der Mitte der zweiten -" "Mir wird
schwindlig." "Das kann ich verstehen; um die Liebe geistig
und noch dazu einseitig zu erleben, muß man seiltänzerisch
begabt sein. Wir sind jetzt auch am Waldesrand angekommen, der
klassischen Bühne für abschiednehmende Paare; ich mache Sie
darauf aufmerksam, daß ich das Wort "Liebespaare"
sorgsam vermeide, um Ihnen nicht gegen Ihren Willen eine Rolle
aufzudrängen, die Ihnen - vielleicht - nur zum Teil liegt".
Er lachte kurz auf und zog mich auf' einen Baumstamn neben einer
kleinen Birke. Ich hielt seine Hand fest und streichelte langsam die
schlanken Finger. "Ich liebe Ihre Hand. Ein Graf mit dem
romantischen Namen Trenck hat mir einmal gesagt, daß man sich
zuerst in die Hände verliebt." "Meinte er Sie?"
"Vielleicht." Ich versuchte das verführerische Lächeln
einer Circe, dessen Mißlingen er mit einem amüsierten
Seitenblick verfolgte. "Wann sehen wir uns wieder? Wem Sie etwas
vorgeplaudert im Waldesgrund, der ist Ihnen verfallen. Wie reizend!
Vielleicht auf sieben Jahre?" "Er küßte sie, sie
küßte ihn, ein Vöglein sang im Lindenbaum,"
summte er nach seiner Art leise vor sich hin. Ich stand auf. "Ich
muß mich nun wirklich beeilen, um vor der völligen
Dunkelheit in Bediglauken anzukommen. Unser Zusammensein war sehr
schön, aber in Königsberg gehe ich wieder euf die Schule
und habe für nichts und niemand Zeit." "Und das
Leben läuft inzwischen vorbei. Sie und Ihr ganzer Kreis lernen
aus Büchern und leben in Büchern und wenn Sie wirklich mal
dazwischen aufblicken und sich umschauen, dann sehen Sie Farben und
Träume und erwarten himmelblaue und rosarote Wunder, und Sie
sind doch jung und haben Blut in den Adern, Herr Gott, noch mal."
Er hatte gegen seine Gewohnheit schnell und erregt gesprochen. Er
faßte nach meiner Hand, aber ich streichelte gerade die kleine
Birke. "Das ist doch alles relativ, mein lieber Freund, ich und
mein Kreis, wie Sie sagen, Sie meinen wohl meine nächsten
Freundinnen, zeigen wie der Seismograph
das Erdbeben, in unserem Innenleben Erschütterungen und
Stimmungen, auch erotischer Natur an, die ein anders gearteter gar
nicht wahrnehmen würde. Dieser Spaziergang, für Sie - nun
sagen wir Himbeerwasser oder Limonade, mir fällt nichts Besseres
ein - ist für mich wie Champagner, schon beinahe ein
ausschweifendes Bachanal. Sie können ruhig lächeln, es
steht Ihnen wunderbar, wenn Sie freundlich aussehen. Aber nun
endgültig auf Wiedersehen!" "Und wann soll dies
Wiedersehen sein?" "Also dann nicht auf Wiedersehen,
sondern adieu, auf deutsch mit Gott," setzte ich beinahe
ernsthaft hinzu. Er blieb sitzen, während ich vor ihm stand und
mich an die kleine Birke lehnte. Wir schwiegen, aber es war nicht
das freundliche Schweigen gleichgestimmter Seelen, sondern drückende
Stille, in der dunkles Gewölk aufsteigt, das Gewitter und
Gefahrren birgt. Mir war es, als müßte ich reden, schnell,
schnell, ehe mir die Kraft schwand, den Bann zu brechen.
"Abschiednehmen ist immer schwer, ja. Sie sprachen vorhin vom
Schwinden der Liebe in der Ehe; und Sie haben nicht einmal ganz
Unrecht. Ich habe mich schon als Kind bei der Spielopera gewundert,
warum die Liebespaare so selig sind und die Eheleute so mißvergnügt
und häßlich zueinander. Aber es gibt eben doch einen
Grund, der denke ich, jeden die Ehe wünschen läßt."
"Kinder?" "Seltsam, an Kinder habe ich nie gedacht,
höchstens an ganz große, die wie Freunde sind, nein, aber
ich leide so unter dem dauernden Abschiednehmen, vielleicht weil ich
schon so früh ein eigentliches Zuhause verlor. Ich denke es mir
herrlich, wenn man sich nach einer Gesellschaft nicht vor der Haustür
zu trennen braucht, denn in dem gemeinsamen Heim wartet ja ein
freundliches Paradies. Können Sie Französisch?" "Ich
habe es sogar unterrichtet." "Ich denke nämlich an
einen Vierzeiler, den ich seh liebe:
Partir, c'est mourir un peu, C'est mourir à
ce qu'on aime, On laisse une partie de soi-même A tout
temps et en tout lieu."
"Nun übersetzen Sie." "In Prima
scheinen Sie ja nicht gerade unterrichtet zu haben. Ich habe
versucht, es in Reime zu bringen, und Sie können urteilen,
welche Fassung besser ist:
Scheiden ist ein wenig sterben, Glück der
Liebe wurde Leid, Und die Welt will von uns erben An jedem
Ort, zu jeder Zeit.
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Scheiden ist wie Tod im Glück, Was wir
Liebten, bringt uns Leid, Etwas bleibt von uns zurück An
jedem Ort, zu jeder Zeit.
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"Sagen Sie es noch einmal." "Ich werde
es Ihnen aufschreiben." "Auf Ihr Bild?" "Ja
gerne, wenn ich ein recht schönes habe." "Ich werde
Ihnen schreiben," "Das wäre nett." "Und Sie
antworten?" "Auch dies." Er ging trotz der
Dämmerung querfeldein den Abhang hinunter, sprang über
einen Graben und winkte noch einmal zurück. Ich hatte den
törichten Wunsch, ihm nachzueilen, oder ihn zurückzurufen,
aber mit welchem Recht? Ich empfand ja gar nicht mehr frei und
natürlich und selig, wie damals, nach Miezels Hochzeit. War das
nicht in mir wie Herbst, kaum daß mir ein Frühling
geblüht, ohne daß mir ein Sommer Reife gebracht? Es war
erst Anfang August, aber wirklich, von der Birke glitt ein erstes
gelbes Blatt langsam in Serpentinen auf meinen Schoß.
kleines Kiefernwäldchen auf eiszeitlichen Sanddünen, das sich zwischen dem Tilsiter Ortsteil Sperlingslust und den Bahnschienen, die nach Königsberg führen erstreckt. *)
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