Erste Begegnung (1904)

Elisabeth Jankowsky, geb. Lemke

 

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Ich ging mit Tiny (Anmerkg.: Schwester Ottilie) am Schluß der Sommerferien durch die Bahnstr., in der wir einmal gewohnt hatten. Ich sah nach der bekannten Hausnummer II und traf auf ein Paar große, schwermütige Augen in einem harten Gesicht. Der lange Mann mit dem harten Gesicht lächelte sparsam und grüßte,
"Du, wer war denn das?"
"Ein Freund von Wilhelm Bock."
"Ach so."

Bei der Heimkehr fand ich das Brautpaar, Wilhelm Bock und Miezel (Anmerkg.:Schwester Marie), Erich Sehmsdorf, unendlich freundlich und den Unbekannten aus der Bahnstr., der mir als Dr. Jankowsky, Historiker, vorgestellt wurde. Wilhelm Bock, der Altphilologe sah auf seine beiden Kollegen gleichermaßen herab. Erich, der Germanist, reckte die Arme. "Elisabeth, seit der Junge da ist," - es waren 3 Tage - "ist, man ein anderer Mensch. Die Pflicht! die Verantwortung! man weiß, warum man lebt. Aber, die Angst vorher! Erna, sagte ich, du hast wieder zu viel Eis gegessen, es bekommt dir nicht; aber als die Schmerzen immer mehr zunahmen -".

Das Brautpaar sprach ostentativ von Horaz. Ich schlug einen Spaziergang vor. Natürlich am Landgraben. "Wie froh bin ich, daß die Abiturkurse wieder anfangen," sagte Miezel, und der Bräutigam pflichtete bei: "Die Ferien waren zu lang." "Ich freue mich nicht, daß die Ferien zu Ende sind - weil ich da noch mehr arbeiten konnte, als während der Schulzeit," übertrumpfte Erich die Tugendreichen. Und ganz langsam der 3. Schulmann: "Morgen hat man wieder die Klasse vor sich, Bestien, die nicht lernen wollen." Eine ganz neue Tonart.

Abschreckend? Vielleicht. Die andern lächelten nachsichtig.Wilhelm ging voran und sang nach Art steifer Menschen ostentativ fröhlich ein Jägerlied. Als typischer Niedersachse war er nicht musikalisch. Die Mundwinkel seines Freundes zogen sich nach unten. Er und ich blieben etwas zurück, nicht weil er mir etwas besonders Interessantes zu sagen hatte, sondern weil er alles, was draußen war, Tiere und Pflanzen, Steine und Wolken beobach- ten mußte. Aber in Botanik, meinem schwachen Punkt, - es war so peinlich, wenn die Kinder und vor allem die Erwachsenen alles wissen wollten - "Sie sind ja Lehrerin" -, konnte er mir nicht helfen.

Seine Blumen hatten absonderliche Namen, die er von seiner Mutter und von Hütejungen gelernt hatte. Sie interessierten ihn auch nicht, wenn sie nicht irgendwie zu verwenden waren; er sah nach Beute aus und fühlte mit den Beutesuchenden. Ein Raubvogel bekam einen freundlicheren Blick als wir alle, und über Krähen, die einen Habicht jagten, verpasste er fast seinen Zug.

"Können Sie singen?" "Nein." 0 Schmerz der kleinen Seejungfrau! "Sind Sie gern Lehrer?" "Nicht ungern, aber meine Liebe ist die Landwirtschaft. Mein Dorfschullehrer kam auf den unglücklichen Gedanken, meinen Eltern zu sagen, der begabte Junge müsse durchaus eine höhere Schule besuchen. Nachher wollte ich das Studium abbrechen, aber ich hatte Pech." "Warum?" "Im zweiten Semester erhielt ich einen Preis von 600M. Da macht man eben weiter. Der Lehrer ist auch nicht das Schlimmste, sondern der Beamte." "Seit wann sind Sie mit Wilhelm befreundet?" "Ich kenne Herrn Bock von Braunsberg her als Kandidat." Er sang vor sich hin mit halber, sehr sympathischer Stimme. Er hatte schön schlanke Hände, gar nicht wie ein Bauernsohn. Er schien mich nicht weiter zu beachten, es reizte mich und da ich nicht singen konnte, fing ich zu erzählen an, auch mit halber Stimme - von meinem Leben in Langendorf, von dem Schloß und den Rosen am Abhang, von den Käuzchen in der Linde und den Kavalieren "wie in Gösta Berling".
Den kannte er nun wieder nicht. Unmöglich! "Aber Sie erzählen so nett, reden Sie doch weiter."

Ich war still. Die andern kamen zurück. Wilhelms charakteristischer Langschädel brachte Erich auf Chatten, Ausgrabungen und Höckergräber. Das Brautpaar sprach heiter und angeregt von Homer. -

"Nun sagen Sie mal Lemperchen, wie war's in den Ferien in Wiesbaden?" "Oede." "Und gestern in Königsberg?" "Wir machten einen Spaziergang, das Brautpaar, noch langweiliger als Brautpaare sonst, weil tief ins Altertum verstrickt, mein Vetter Sehmsdorf, der vergangenes Jahr heiratete und stolzer Vater ist - und dann noch ein Bekannter."

"Und wie war der?" "Ach, wissen Sie, Fräulein Frieda, mal ganz was anderes."

 

© Jost Schaper, Bad Pyrmont, 2006
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Letzte Aktualisierung: 17.09.2007