Königsberg i.Pr. d. 30.5.33
Kronprinzstr. 4
Liebe Ottilie!
Ich habe mich für so Vieles zu
bedanken, daß da ein Bogen gar nicht ausreicht; Dank für
zwei Briefe vom 22. u. 24. Mai u. dann noch die hübsche Karte
von Bad Soden, dieselbe sieht geradezu großartig aus, u. muß
es da sehr hübsch sein bei schönem Wetter spazieren zu
gehen. Und was hast Du mir alles geschenkt: Nachtjacke, Seife,
Briefpapier gleich mit Marken, Eau de Cologne und vollends das
Häubchen, ich habe mich über alles sehr gefreut und danke
tausendmal dafür.
Vorige Woche fing meln Geburtstag schon
Mittwoch an, da wurde mir von der Schwägerin ein großer
Kuchen gebacken. Nachmittags wurde diverses besorgt für
Himmelfahrt, denn da hatte ich nachmittags Besuch von Elisabeth,
Urte,
Hildegard,
Christel,
Käthe
etc,,
Elisabeth hatte mir eine
Chocoladenspeise mit Vanillensauce gebracht, an der nichts gespart
wurde und für Abends hatte ich Brot, Eier, Aufschnitt Käse,
etc., besorgt, und Urte u. Christel machten zwei feine, sehr
appetitliche Schalen zurecht, bei denen selbst die Schwägerin
sagen mußte, daß die Mädels es geschickt und hübsch
machten; sie waren alle vergnügt, und Käthe erzählte
Schauergeschichten von ihrem Arbeitslager.
Am Freitag früh, am 26. erhielt
ich sehr viele Briefe, nicht eines hatte mich vergessen.
Den Tag vorher bekam iah schon
Nachricht von Tokyo
u. aus Afrika,
wie gesagt, aus Stuttgart,
Baden-Baden,
Wien,
Dresden, Berlin,
Lyck,
Arys, wo Hans-Georg üben muß u.s.w., die Einwohner von
unten kamen mit sehr schönen Nelken, Herr und Frau Falkenheim
mit Prachtrosen, dann bekam ich noch Narzissen, Vergissmeinnicht,
Stiefmütterchen, aber nichts von Flieder, derselbe blüht
noch gar nicht. Der Mai war durchweg doch recht kalt, ich war bloß
froh, wenn ab und zu geheizt wurde, beide Ostertage unter aller
Kanone, Himmelfahrt Regen und Sturm, u. wenn nächsten Sonntag
auch kein besseres Wetter wäre, dann können alle Wirte
einpacken.
Am Sonnabend, d. 27. Mai bekam ich 3
Paquete, von Dir, yon Frau von Born und von Alis Frau; Olga schickte an Elisabeth M. 10,- sie solle mir etliche
Flaschen Wein zur Stärkung besorgen; von Frau von Horn eine
recht hübsche, selbst gearbeitete Decke, gut passend für
meinen runden Tisch, Strümpfe u. diverse Kleinigkeiten. Sie hat
sehr Heimweh nach Wiesbaden, ihre alte Wohnung ganz renoviert, aber
noch nicht vermietet, am liebsten möchte sie wohl wieder zurück;
meiner Annahme nach war es seiner Zeit doch nicht ganz überlegt,
zumal die alte Frau Huyßen da ist, sich absolut nicht mit der
jungen verträgt, u. so ist es kein schönes Zusammensein;
aber auch die pekuniäre Seite sei zu überlegen, sie
fürchtet schon die Auslagen für die Reise und etliche Tage
Aufenthalt in Wiesbaden.
Falkenheims sind natürlich sehr
gedrückt, die Schwägerin meinte, es könne nicht so
schlimm sein, wenn man noch mit Auto herausfährt und solche
Rosen schenken kann, es ist aber doch so. Am kränkendsten war
für ihn, daß der Abschied von der Aerztekammer ausging, am
1. August wären es 40 Jahre geworden, daß er an der
Barmherzigkeit war. Die Wohnung in der Henschestraße wird
geteilt, so ist sie zu groß u. zu teuer. Aber die Frau
Falkenheim sagte mir, diese Veränderung gehe schon mehr ans
Leben, es sei furchtbar. Und der Sohn, Dr. Kurt Falkenheim, hat auch
nicht mehr das Kinderkrankenhaus, sondern kann spazieren gehen, das
thut den Eltern doch auch sehr leid. Und genau so ist es in der
Schulabteilung.
Eine Schwester der Gräfin Eulenburg wohnt mit einer Baltin, Frl.. v. Hörner 1/2 Stunde von Prassen in dem Haus, in dem seiner Zeit die alten Eulenburgs wohnten, u. dieses Frln. v.H. erzählte mir, daß Graf Eulenburg in der Königshalle Bridge spielte, und so vom Spiel weg wurde er verhaftet. Jetzt ist er aber wieder auf freiem Fuß. Im Auto kam er nach Hause, und lief alles zusammen, ihn zu begrüßen. Die Untersuchung geht weiter, aber der Graf ist doch zu Hause. Die Gräfin Eulenburg war ganz ruhig, sehr mitgenommen war die Gräfin Stolberg.
Du hast ganz recht, die heutigen
Fingerhüte sind alle so kurz, es thut mir sehr leid„ daß
Du so viel Mühe hattest wegen derselben u, wegen des Häubchens;
einer von den Fingerhüten ist etwas länger und den werde
ich mit Dank benützen, meiner ist total verbraucht. Du würdest
lachen. Vor Pfingsten werde ich noch das Häubchen ausprobieren,
bis jetzt war immer etwas anderes.
Am Freitag kommen Ali und Frau, da
hatte ich zu schreiben, am Sonntag mittag Harry,
derselbe hat Urlaub von Sonnabend an, fährt dann nach
Swinemünde, über Nacht mit dem Dampfer nach Pillau, von da
fährt gleich ein Zug hierher. Wie lange Harry Urlaub hat, weiß
ich nicht; er wohnt oben, bei uns.
Zu Sonntag Mittag hat Jankowsky uns alle eingeIaden, wenn bloß das Wetter nicht allzu schlecht
ist. - Daisy schickte mir eine Zeitung, italienisch, wo ein langer Abschnitt dem
Herrn Italo Vivanti gewidmet ist, Elisabeth hat ihn übersetzt.
Es läßt sich nicht leugnen,
ich bin nun sehr alt geworden, Du würdest einen Schrecken
bekommen. Seit dem letzten Fall bin ich auch gar nicht mehr so sicher
auf den Beinen, mag kein volles Theebrett mehr vom Balkon in die
Küche tragen, am besten bin ich in meinem Zimmer aufgehoben.
Marion schrieb an Hildegard, daß
sie ein schweres Vierteljahr hinter sich habe. Gleich im Januar
hatten doch beide Eheleute diese Wunden an den Füßen,
beide mußten liegen, dann kam das kleine Mädel, das
Jungchen hatte Masern, das kleine Mädel 7 Wochen Durchfall; es
wurde so elend, daß sie glaubten, es wieder hergeben zu müssen,
es bleibe einstweilen ein Sorgenkind. Georg. S. schrieb, daß
Marion recht mitgenommen sei, erholungsbedürftig und nervös.
Das Jungchen kann jetzt gut laufen und sei immer hinter den Hühnern
her, wenn man ihn von da weghole, sei sein Geschrei "nein, nein,
nein" oder er gehe schnurstracks an den Feigenbaum. und ehe man
es sich versehe, habe er schon Feigen verschluckt, resp. gegessen,
man muß furchtbar aufpassen. Zu dem Schwesterchen rede er nur
in den zartesten Tönen, und wenn es weine, dann schiebe er das
Körbchen von seinem Bettchen aus hin u. her.
Käthe trat In ein Arbeitslager
ein, aber all das ist noch nicht ordentlich ausgedacht und
eingerichtet: Vor 20 Jahren soll man nicht in der Waschküche
beschäftigt werden, Käthe kam gleich hinein, öfter
wurde zu ihr gesagt, beim Abiturium kann man nicht waschen lernen.
In einer Woche nahm sie 6 Pfund ab.
Jetzt aber das Schlimmste: Ungeziefer. Und jeden Tag kam eine oder
die andere ins Krankenhaus, Typhus, Diphtherie. Das Lager war, wo
früher das Appelbaumsche Stift war , Aber nach den Kindern war
da alles Mögliche untergebracht.
Käthe trat heute aus u. fährt
nach Hause. Die jüngste Frank war doch bei Heilsberg Leiterin
eines solchen Arbeitslagers, die sagte auch, dies Lager, wo Käthe
war, sei in Allem berüchtigt, da sei schon mehr alles, Wenn
Käthe jetzt bei der Mutter lernt, sich noch in einem
Säuglingsheim beschäftigt, dann wird ihr dies halbe Jahr
auch angerechnet, das hat ihr das Fräulein Friedenau bestätigt
-
Es wird alles in viel zu großer
Hast gemacht, und so wie es ist, soll es gut sein.
Nun aber genug, auch das Schreiben geht
viel zu langsam. Nochmals vielen Dank für alle Güte u. sei
l000 mal gegrüßt von Deiner tr.
Marie